Johannes Corcilius aus Grenzhausen und die „Pferdches“-Krüge“

von Karl Baeumerth, Neu-Anspach

Ein birnförmiger Steinzeugkrug mit einer flüchtig aufgemalten kobaltblauen „Schürze“ als Dekoration erregte bei der Eröffnung einer Keramikausstellung im Freilichtmuseum Hessenpark 1983 die Gemüter der anwesenden Westerwälder Steinzeugspezialisten. „So eine einfache Dekoration hätte es im Kannenbäckerland niemals gegeben, dieses Gefäß muss ganz einfach aus einer der vielen anderen Herstellungsregionen stammen“, war ihre einhellige Meinung. Die Versicherung, dass es einen ebensolchen Krug mit manganvioletter Schürze gebe, dessen zusätzlich aufgebrachte plastische Auflage eine Herstellung in Grenzhausen beweise, wurde damals, weil das Gefäß gerade nicht greifbar war, als abwegig abgetan.

Dieses Beweisstück soll heute in den Mittelpunkt einer ganz anderen Betrachtung gestellt werden, die den bislang unerkannt gebliebenen Wert dieses Gefäßes für die Keramikforschung neu definiert. Das Steinzeuggefäß, das auch in der 1999 neu aufgestellten Keramikabteilung des Marburger Universitätsmuseums im Landgrafenschloss ein weiterhin unerkanntes Dasein fristet, trägt inmitten einer manganvioletten Schürze in einem eingeritzten und kobaltblau ausgemalten Kreisring eine plastische Auflage1. Diese wiederum zeigt ein nach rechts springendes Pferd und eine kreisrunde Umschrift. Beim Aufbringen der Auflage bzw. bei deren Stempelung ist wohl der Abdruck so verrutscht, dass das Pferd drei Hinterbeine erhalten hat und die ringförmige Umschrift sich teilweise doppelt abbildet. Der freihändig, nicht mit dem Zirkel eingeritzte Doppelkreis ist, da er die Auflage an mehreren Stellen am Rand durchschneidet, erst nach der Applikation der siegelartigen Auflage angebracht worden.

Versucht man durch Fotomontage den Stempelabdruck zurechtzurücken, kann man die Inschrift zum größten Teil mühelos lesen: „Fabriziert in Grenzhausen bei Johannes Corcilius ….“ Vermutlich gab es noch eine Jahreszahl, deren vier Ziffernstellen aber unleserlich bleiben. Übrigens erhält das Pferd bei dieser Montage-Operation seine zwei Hinterbeine wohlbehalten zurück. Aber gerade seinem unbeschwert erscheinenden Galopp soll unser Augenmerk gelten. Er wird uns bei weiteren Beispielen ständig begegnen.

Bislang wissen wir nicht, was die Darstellung dieses Pferdchens auf der Auflage bedeuten soll. Man könnte an ein Wappen für die Familie Corcilius denken, aber ein Familienwappen mit einer Pferdedarstellung ist bei den Corcilius unbekannt. Wie weit das Pferd als eine Darstellung des seit 1361 heraldisch verwendeten „Sachsenroß“ zu werten wäre, bleibt fraglich. Immerhin lieferten Westerwälder Kannenbäcker mindestens noch in der Zeit der Regentschaft von Georg III. (1760-1820) als König von Hannover und König von England an den Hof von „Georg Rex“ speziell mit Auflagen gekennzeichnete Krüge.

Wir wissen auch fast nichts über den Hersteller des in Marburg verwahrten Kruges, über Johannes Corcilius aus Grenzhausen. Da die Entstehungszeit des Kruges aus weiteren Überlegungen heraus auf das erste Viertel des 19. Jahrhunderts datiert werden kann, kämen ein älterer und ein jüngerer Johannes Corcilius in Grenzhausen in Frage, die beide 1804 einen „Entwurf einer neuen Zunftordnung“ unterschrieben haben2.

Soweit zunächst die Gedanken um den Westerwälder Krug im Marburger Universitätsmuseum.

Wir wenden unseren Blick auf eine Gegend, in der „Pferdches“-Krüge – gemeint sind Krüge mit einem eingeritzten und hier in aller Regel nach links aufsteigendem kobaltblau ausgemalten Pferd – bei Keramiksammlern seit vielen Jahren den Inbegriff einer ganz bestimmten regionalen Steinzeugproduktion darstellen, nämlich der hessischen und der bayerischen Rhön. Hier bewirkten die im Vergleich mit dem Kannenbäckerland recht bescheidenen Produktionszahlen der im Sprachgebrauch der Westerwälder Kannebäckerforscher so bezeichneten „Filiationen“ Römershag und Oberbach, dass kaum ein Keramiksammler in und um Fulda ohne einen derart seltenen „heimischen Pferdches-Krug“ dastehen wollte.

Wenn auch Steinzeuggefäße mit „gestempelten Pferdchen“ für den Herstellungsort Oberbach zu Recht besonders in Anspruch genommen werden, so geht aus einem Schreiben des Fuldaer Heimatforschers Ernst Kramer deutlich hervor, dass auch für den Versuch, geritzte Krüge mit dem von rechts nach links galoppierendem Pferd für Römershag in Anspruch zu nehmen, keinerlei Beweise vorliegen: „ … bei den Funden (in Römershag) wurde nicht ein Rest eines springenden Pferdes gefunden“3.

Wo aber kamen dann die legendären Rhöner „Pferdches“-Krüge her?

Wir wollen vor einer möglichen Beantwortung dieser Frage zunächst noch einige Beobachtungen hinzufügen. Dabei sollen die Vorkommen in Heimatmuseen, die ihre Exponate in der Vergangenheit üblicherweise nicht aus dem überregionalen Kunsthandel, sondern aus den Haushalten des näheren Einzugsbereiches beziehen, besonders berücksichtigt werden. „Pferdches“-Krüge, die heute in den Heimatmuseen Usingen im Taunus oder Lorch am Rhein aufbewahrt werden, sind höchstwahrscheinlich nicht erst aus der Rhön in ihre Verwendungsorte gelangt.

Vor dem endgültigen Versuch einer Beantwortung der Herkunftsfrage noch einige Fakten, die die Darstellung des Pferdes betreffen: Fast alle Darstellungen der geritzten blauen Tiere haben immer das gleiche „gummipferdähnliche“ Aussehen. Sie unterscheiden sich fast nur in der Ausbildung der Ohren in zwei Gruppen: einmal sind die Ohren spitz, einmal sind sie rund. Waren hier mindestens zwei verschiedene Redmacher oder zwei verschiedene Werkstätten am Werk? Und wenn es nur zwei waren, dann würde man auf jeden Fall auf verhältnismäßig geringe Produktionszahlen und eine auf nur wenige Jahre begrenzte Herstellungszeit schließen dürfen.

Auf allen bekannten „Pferdches“-Krügen springt das Pferd von rechts unten nach links oben. Nur bei dem Marburger Stück mit der Auflage ist die Sprungrichtung umgekehrt. Da sich bei dieser Auflage auch alle anderen Konturen mit den redgemachten gleichen, könnte man vermuten, dass die gleiche Hand die Vorzeichnung für den Auflagestempel erstellt hat. Der Abdruck auf der Auflage zeigt dann also technisch bedingt folgerichtig das Pferdchen in spiegelverkehrter Ansicht.

Eine weitere Beobachtung: Alle bislang vermessenen Krüge haben bemerkenswerterweise eine einheitliche Höhe von ziemlich genau 20,8 cm. Nur Krüge und Kannen, die außer dem Pferd noch weitere Dekorationselemente tragen, wie z.B. eine Herz-Kartusche mit den Buchstaben „GH“, sind größer (etwa 25 cm).

Diese zuletzt genannten „GH“-Krüge geben uns im übrigen zusammen mit den im Fuldaer Raum immer wieder zu beobachtenden nachträglich eingeschliffenen „WK“-Kennzeichnungen im blau ausgemalten Pferdeleib eine verlässliche Datierungshilfe an die Hand. Wie in einem 1985 vorgelegten Aufsatz berichtet werden konnte, lassen sich diese zum Ausschank dienenden buchstabensignierten Gefäße ziemlich genau in einen Zeitraum von 1820 bis 1847 einordnen4. Da bei den dort untersuchten „GH“-Krügen niemals Lieferungen aus den „Steinzeugfiliationen“ der Rhön nachzuweisen waren, kommt auch bei der Herstellung der „nur“ mit einem Pferdchen dekorierten Krüge letztendlich nur das Kannenbäckerland selbst in Frage.

Zwei Beweisstücke zu dieser These konnten in jüngster Zeit in Höhr-Grenzhausen aufgetan werden. In zwei Höhr-Grenzhäuser Familien, deren eine sich auch auf die Familie Corcilius zurückführen lässt, befinden sich noch heute ebensolche Krüge und werden als überkommene Familienstücke gehütet5. Einer davon soll hier im Bild gezeigt werden. Er ist 20,8 cm hoch, hat ein redgemachtes nach links aufsteigendes Pferdchen mit spitzen Ohren auf dem Bauch.

„Spitze“ Ohren zeigt auch ein Pferdchen auf einem Bruchstück eines Steinzeugkruges, das heute in Privatbesitz in Höhr-Grenzhausen aufbewahrt wird. 1994 wurde es in Grenzhausen auf dem Grundstück Hermann-Geißen-Straße 35 gefunden. Dieser Fehlbrand scheint der lange gesuchte Beweis für eine Herkunft der „Pferdches“-Krüge aus dem Kannenbäckerland zu sein.

Man sollte zugleich mit dieser neuen Erkenntnis für die Grenzhäuser Herkunft der „Pferdches“-Krüge noch einen Ansatzpunkt für Fehlinterpretationen in der Keramikforschung tilgen: Nicht nur das springende Pferd, sondern nebenbei auch die Punktreihe am Bodenrand von Steinzeuggefäßen, die gern in der einschlägigen Literatur als Argument für eine Herstellung in einer „Filiation“ (meist für „Hessen“) in Anspruch genommen wird, kann man guten Gewissens aus der Beweismittelkette für Nichtwesterwälder Stücke endgültig streichen.


Krug mit manganvioletter Schürze und plastischer Auflage

Marburger Universitätsmuseum (Foto: Foto-Marburg)

Krug mit manganvioletter Schürze und plastischer Auflage: Detail der Auflage mit verrutschtem Stempelabdruck

Marburger Universitätsmuseum (Foto: Foto-Marburg)

„Pferdches“-Krug im Usinger Heimatmuseum

(Zeichnung: Karl Baemerth, Neu-Anspach)

„Pferdches“-Krug

Freilichtmuseum Hessenpark (Foto: Karl Baemerth, Neu-Anspach)

Pferdchen mit spitzen Ohren

(Foto: Karl Baemerth, Neu-Anspach)

Pferdchen mit runden Ohren

(Foto: Karl Baemerth, Neu-Anspach)

„Pferdches“-Darstellung mit eingeritzten Buchstaben „WK“

(Foto: Karl Baemerth, Neu-Anspach)

„Pferdches“-Krug aus dem Besitz der Familie Corcilius in Höhr-Grenzhausen

(Foto: Karl Baemerth, Neu-Anspach)

Scherbenfunde aus Grenzhausen

(Foto: Karl Baemerth, Neu-Anspach)


Weiterführende Literatur:

Karl Baeumerth, Buchstabensignierte Steinzeuggefäße in Hessen – Das Rätsel der GH-Krüge. In: Hessische Heimat, Zeitschrift für Kunst, Kultur und Denkmalpflege 35 (1985), S. 107-114.

  1. Marburger Universitätsmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Inv.Nr. 342
  2. Archiv für Töpfernamen von Dr. Franz Baaden, Ransbach-Baumbach: Chronologische Übersicht der Familie „Corcilius“.
  3. Brief in der Sammlung von Dr. Franz Baaden, Ransbach-Baumbach. Herrn Dr. Baaden sei für die Hilfestellung mit Archivmaterial aus seiner Sammlung sehr herzlich gedankt.
  4. Baeumerth 1985, 107-114.
  5. Diese Mitteilung verdanke ich Frau Else Zöller, Höhr-Grenzhausen.