Motive: Gut und Böse in einem

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Fragment des Innenfelds einer Blattkachel der Serie der alttestamentarischen Heldinnen: Judith, den Kopf von Holofernes in der Hand haltend.Das hier vorgestellte Hilpoltsteiner Kachelfragment stammt aus Ausgrabungen, die in den Jahren 1988 und 1991 im Vorgriff der baulichen Sanierung der Burg Hilpoltstein durchgeführt wurden.1 Die Fundstücke sind heute im Besitz der Stadt Hilpoltstein.2 Dort werden sie im Depot des Museums „Schwarzes Roß“ aufbewahrt. 2011 und 2017 wurde das Kachelmaterial (1375 Fragmente) fotografisch erfasst und in die Objektdatenbank FurnArch eingearbeitet. Im Januar 2017 regte das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege eine Aufarbeitung des Bestands an.3

Modern und stilsicher

Im Fundgut sind 67 Fragmente dem dortigen Rahmentypus 1 zuzuweisen.4 Davon sind 42 ausschließlich Versatzstücke der das Innenfeld umschließenden Arkade. 5 37 Artefakte sind grün glasiert, 30 weisen lediglich eine weiße Behautung auf.

Die Arkade hat einen hohen, durchgehenden Sockel. Auf diesem stehen Doppelpfeiler mit wie aus Kulissen hervortretenden Figuren. Eine Bogenlaibung in Form eines, mit einer blütenbesetzten Kassettendecke ausgestatteten, Tonnengewölbes unter einer zahnschnittbesetzten Archivolte schließt das Konstrukt nach Oben ab. Akanthusrosetten zieren die Zwickel . Diese Rahmenform tritt unter anderem im Modelfund der Großen Greifengasse in Speyer auf.6

Das 5,0 x 8,5 cm messendes Keramikfragment, das den Ausgangspunkt der vorliegenden Betrachtung bildet, zeigt den ins Halbprofil nach rechts gedrehten Kopf einer jungen Frau. Sie trägt ein Haarnetz, das typisch für die renaissancezeitliche Mode ist. Das Gesicht wird fast vollständig von einem ausladenden, an seinen Rändern rundum mit Straußenfedern besetzten Barett umschlossen. Knapp unterhalb des Kinns ist gerade noch der rüschenbesetzte Kragen ihrer Bluse zu erkennen. Beachtenswert ist die sorgfältige Oberflächenbearbeitung. Damit sticht das dünnwandige Flachrelief aus der Masse der reliefierten, renaissancezeitlichen Kachelfragmente von der Burg Hilpoltstein heraus. Die Schmauchspuren auf der Rückseite bezeugen den Einbau in einen Kachelofen. Die Kachel, zu der das Fragment ursprünglich gehörte, war demnach dergestalt im Ofenkörper platziert, dass ihre Rückseite ohne schützende Zwischenschicht direkt dem Feuer und Rauch ausgesetzt war.

Das Fragment mit dem Kopf von Judith trägt einen Tonbatzen auf seiner Rückseite. Die Stütze verhinderte beim Brennen das Einsinken des reliefierten Vorsatzblattes. Sie wurde normalerweise vor dem Einbau der Kachel in den Kachelofen abgeschlagen.7

Das Haarnetz kam bei Frauendarstellungen auf renaissancezeitlichen Kacheln mehrfach zur Anwendung.8 Stilistisch lässt sich der Entstehungszeitraum der dem Kachelfragment zugrundeliegenden Bildidee auf das zweite Drittel des 16. Jahrhunderts eingrenzen.

Letztlich kommen bei der Suche nach Parallelen zu dem Hilpoltsteiner Fragment Kachelreliefs in die engere Auswahl, die stilistisch der Cranach-Werkstatt nahestehen. Es handelt sich um die ganzfigurige Darstellung der Judith mit dem Haupt des Holofernes und um die Allegorien der Serie der Freien Künste Wittenberger Art.9 Den entscheidenden Hinweis liefert neben der Binnenstruktur des Haarnetzes die Huttracht.

Fragment des Models einer Blattkachel aus der Serie der alttestamentarischen Heldinnen: Judith unglasiert, 16. Jh., zweites Drittel; H. 32,5 cm, Br. 22,0 cm; Speyer, Historisches Museum der Pfalz, urspr. Speyer, GreifengasseDie Spur führt uns zu einem Model aus der Großen Greifengasse in Speyer.10 Von dem Motiv haben sich in Hilpoltstein 24 Fragmente erhalten. Es dürften ursprünglich mindestens vier Kacheln mit identischen Reliefs dort im Ofen eingebaut gewesen sein.

Das Kachelfragment mit dem Frauenkopf ist demnach einer ganzfigurigen, auf den Betrachter weisenden, stehenden Frau zugehörig. Sie ist barfüßig. Unter einem geschnürten Leibchen mit geschlitzten, weit ausladenden Ärmeln trägt sie einen plissierten Rock. Er ist links geschürzt und gibt dem Blick auf ihr Untergewand frei. Dadurch wird das leicht angewinkelte rechte Bein sichtbar. Um den Hals trägt die Dargestellte unter einem Collier mit rundem Medaillon zwei sich überlagernde, grobgliedrige Goldketten. Mit ihrer erhobenen linken Hand umschließt die Stehende den Griff eines blank gezogenen Schwertes mit ausgreifender Parierstange. Die mit ihrer Spitze diagonal nach rechts oben weisende Klinge wird zum Großteil von ihrem Kopf verdeckt. Aus dem ebenfalls zum Betrachter weisenden, abgeschlagenen Haupt eines bärtigen Mannes, den sie an den Haaren in ihrer Rechten hält, erklärt sich die Blankwaffe, die sich nur schwer in Einklang mit der modisch gekleideten Frau bringen lässt. Es handelt sich um das Haupt von Holofernes, das Judith nach vollbrachter Tat voller Stolz präsentiert (Judith 10-13).

Von Mord und Selbstmord

Idealrekonstruktionen der Blattkacheln mit Judith, Salome und Lukretia aus der Serier der alttestamentlichen Heldinnen. (Visualisierung: Sabrina Bachmann)

Judith war Bestandteil einer mindestens dreiteiligen Serie von Frauenfiguren.11 Dieser ist auch die Selbsttötung von Lucretia zuzurechnen. Die ebenfalls als stehende Frau dargestellte Protagonistin, von der sich in Hilpoltstein ein Fragment erhalten hat, stößt sich einen Dolch knapp unterhalb ihres Busens in den Leib. Auf einer modelgleichen Kachel aus dem tschechischen Jindřichův Hradec12 finden die Bildbestandteile in einem Relief zusammen. Es zeigt ebenfalls die römische Tugendheldin, die sich selbst das Leben nahm. Die dritte Frau in dieser Figurenfolge, tradiert unter anderem im Werkstattbruch aus der Großen Greifengasse in Speyer,13 war Salome, die Tochter der Herodias. Sie hält einen Teller mit dem darauf liegenden, abgeschlagenen Kopf von Johannes dem Täufer in ihren Händen.

Die Figuren auf den Innenfeldern der renaissancezeitlichen Kacheln können, abgesehen von Salome, der Gruppe der Guten Heldinnen zugewiesen werden.14 Auf den ersten Blick haben sie nur wenig gemeinsam: Lucretia bringt sich im Vorgriff einer Vergewaltigung um. Judith tötet einen Feind der Israeliten, nachdem sie sich diesem zuvor als Spionin und als Liebschaft anempfohlen hatte. Salome ist aus biblischer Sicht eher eine Antiheldin, die den Tod von Johannes dem Täufer zu verantworten hat. Allen dreien gemeinsam ist, dass ihr erfolgreiches Handeln stets auf dem Auslösen einer sexuellen Begierde basiert.15


Fragment des Innenfelds einer Blattkachel der Serie der alttestamentarischen Heldinnen: Judith
grün glasiert, 16. Jh., zweite Hälfte; H. 5,0 cm, Br. 8,5 cm;

Hilpoltstein, Museum "Schwarzes Roß" Inv.-Nr. 200792_3, 244102, urspr. Hilpoltstein Burg
Fragment des Innenfelds einer Blattkachel der Serie der alttestamentarischen Heldinnen: Judith
grün glasiert, 16. Jh., zweite Hälfte; H. 4,3 cm, Br. 4,1 cm;

Hilpoltstein, Museum "Schwarzes Roß" Inv.-Nr. 200801, urspr. Hilpoltstein Burg
Fragment des Innenfelds einer Blattkachel der Serie der alttestamentarischen Heldinnen: Judith
grün glasiert, 16. Jh., zweite Hälfte; H. 4,4 cm, Br. 6,1 cm;

Hilpoltstein, Museum "Schwarzes Roß" Inv.-Nr. 200817, urspr. Hilpoltstein Burg
Fragment des Innenfelds einer Blattkachel der Serie der alttestamentarischen Heldinnen: Judith
grün glasiert, 16. Jh., zweite Hälfte; H. 4,4 cm, Br. 2,7 cm;

Hilpoltstein, Museum "Schwarzes Roß" Inv.-Nr. 169180, urspr. Hilpoltstein Burg
Fragment des Innenfelds einer Blattkachel der Serie der alttestamentarischen Heldinnen: Judith
grün glasiert, 16. Jh., zweite Hälfte; H. 9,8 cm, Br. 6,0 cm;

Hilpoltstein, Museum "Schwarzes Roß" Inv.-Nr. 214436, urspr. Hilpoltstein Burg
Fragment des Models einer Blattkachel aus der Serie der alttestamentarischen Heldinnen: Judith
unglasiert, 16. Jh., zweites Drittel; H. 32,5 cm, Br. 22,0 cm;

Speyer, Historisches Museum der Pfalz, urspr. Speyer, Greifengasse
Fragment des Innenfelds einer Blattkachel der Serie der alttestamentarischen Heldinnen: Judith
grün glasiert, ca. 1550; H. 7,2 cm, Br. 6,3 cm;

Speyer, Historisches Museum der Pfalz, Karton-Nr. 03812, urspr. Neustadt/Weinstraße, Wolfsburg,
Fragment einer Blattkachel aus der Serie der alttestamentarischen Heldinnen: Judith
polychrom glasiert, ca. 1550; H. 5,3 cm, Br. 5,2 cm;

Bad Windsheim, Fränkisches Freilandmuseum, Inv.-Nr. 15/281-004, urspr. Wendelstein, Badehaus
Fragment des Innenfelds einer Blattkachel der Serie der alttestamentarischen Heldinnen: Judith
grün glasiert, 16. Jh., Mitte; H. 5,2 cm, Br. 5,9 cm;

Neuleiningen, Sammlung Backes, urspr. Wilgartswiesen, Falkenburg
Fragment des Innenfelds einer Blattkachel der Serie der alttestamentarischen Heldinnen: Lukretia
grün glasiert, 16. Jh., zweite Hälfte; H. 7,0 cm, Br. 10,5 cm;

Hilpoltstein, Museum "Schwarzes Roß" Inv.-Nr. 169191, urspr. Hilpoltstein Burg
Fragment einer Blattkachel aus der Serie der alttestamentarischen Heldinnen: Lukretia
grün glasiert, ca. 1550; H. 3,8 cm, Br. 5,2 cm;

Bad Windsheim, Fränkisches Freilandmuseum, Inv.-Nr. 15/281-015, urspr. Wendelstein, Badehaus 113
Fragment einer Blattkachel aus der Serie der alttestamentarischen Heldinnen: Lukretia
grün glasiert, 16. Jh., Anfang; 

Rastatt, Archäologisches Landesmuseum, Eschelbronn, Wasserburg
Fragment einer Blattkachel aus der Serie der alttestamentarischen Heldinnen: Lukretia
grün glasiert, 16. Jh.; H. 10,7 cm, Br. 6,9 cm;

Ingolstadt, Stadtmuseum, Inv.-Nr. A 07418/0399, urspr. Ingolstadt, Bauhofstraße
Fragment des Models einer Blattkachel mit Salome
unglasiert, 16. Jh. 2. Drittel; H. 27,2 cm, Br. 21,2 cm;

Speyer, Historisches Museum der Pfalz, urspr. Speyer, Greifengasse
Fragment einer Halbzylinderkachel mit geschlossenem Vorsatzblatt mit Salome
grün glasiert, 16. Jh., zweite Hälfte; H. 13,1 cm, Br. 19,9 cm;

Speyer, Historisches Museum der Pfalz Karton-Nr. 07618, urspr. Speyer, Stiftungskrankenhaus
Fragment einer Blattkachel mit Salome
grün glasiert, ca. 1550; H. 22,3 cm, Br. 10,9 cm;

Sinsheim, Stadtmuseum, urspr. Zuzenhausen, Burg
Fragment des Innenfelds einer Blattkachel mit Salome
grün glasiert, 16. Jh. Mitte; H. 6,1 cm, Br. 5,8 cm;

Ingolstadt, Stadtmuseum, Inv.-Nr. A 07607/342, urspr. Ingolstadt, Unterer Graben 10
Fragment einer Kranzkachel mit der stehenden Ganzfigur der alttestamentarischen Heldin Judith
graphitiert, 16. Jh.; H. 20,5 cm, Br. 16,0 cm;

Lauterbach, Hohhaus Museum, Inv.-Nr. 53570
Fragment einer Kranzkachel mit der Dreiviertelfigur der alttestamentarischen Heldin Judith
grün glasiert, 16. Jh.; H. 19,4 cm, Br. 14,4 cm;

Römhild, Steinsburgmuseum, Inv.-Nr. 53570, urspr. Schmalkalden, Auergasse 16 (10/178-299)
Fragment einer Blattkachel der Berman-Serie mit stehender Ganzfigur der Judith
dunkelbraun glasiert, 1562; H. 28,6 cm, Br. 18,2 cm;

Nidderau-Heldenbergen, Verein für Vor- und Frühgeschichte, Reg. Nr. 019, urspr. Nidderau-Windecken, Schloss
Fragmentdes Innenfelds einer Blattkachel mit der stehenden Judith
weiß behautet, 16. Jh. Ende; H. 17,7 cm, Br. 13,1 cm;

Ingolstadt, Stadtmuseum, A 06144/C 51751, urspr. Ingolstadt, Schäffbräustraße
Fragment einer Blattkachel mit Judith
unglasiert, 17. Jh. Ende; H. 45,2 cm, Br. 29,0 cm;

Darmstadt, Hessisches Landesmuseum, Inv.-Nr. KG 65:118
Fragment des Innenfelds einer Blattkachel mit der stehenden, nach links blickenden Ganzfigur der Judith
dunkelbraun glasiert, 17. Jh. Anfang; H. 13,8 cm, Br. 7,3 cm;

Halle, Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Konvolut MD 068, Karton-Nr. 089; urspr. Magdeburg, Regierungsstraße/Bärstraße, 2012-753/790 MD Bef. 068
Fragment einer Blattkachel mit auf einer tellerförmigen Konsole stehenden Judith
dunkelbraun glasiert, 17. Jh.; H. 37,5 cm, Br. 30,0 cm;

Marburg, Museum für Kunst- und Kulturgeschichte, Inv.-Nr. 13.818
Fragment einer Blattkachel mit auf einer tellerförmigen Konsole stehenden Judith
dunkelbraun glasiert, 17. Jh.; H. 45,7 cm, Br. 37,2 cm;

Marburg, Museum für Kunst- und Kulturgeschichte, Inv.-Nr. 13.829
Fragment einer Blattkachel mit dem Halbbild einer stehenden Frau
dunkelgrün glasiert, 17. Jh. Anfang; H. 17,9 cm, Br. 13,5 cm;
Karlstadt, Stadtgeschichte Museum, urspr.  Karlstadt, Hauptstraße 56, 
daneben: vergleichbare Kachel aus dem Badisches Landesmuseum Karlsruhe
Fragment der Schmalseite einer über Eck geführten Blattkachel mit Judith
grün glasiert, 17. Jh. Ende; H. 18,7 cm, Br. 18,5 cm;

Würzburg, Museum für Franken, Inv.-Nr. 62992
Fragment der Schmalseite einer über Eck geführten Blattkachel mit Judith
graphitiert, ca. 1600; H. 27,5 cm, Br. 9,7 cm;

Schmalkalden, Museum Schloss Wilhelmsburg, Schmalkalden, Wilhelmsburg
Fragment einer Eckkachel mit stehender Frau mit Allongeperücke
graphitiert, ca. 1700; H. 42,2 cm, Br. 9,0 cm;

Büdingen, Heuson-Museum, Inv.-Nr. A 0616

Die Ambivalenz als das Verbindende

Primär geht es bei dem blockhaften Zusammenschluss dieser drei doch so unterschiedlichen Frauengestalten, für die sich weder in der Spätgotik noch in der Renaissance theoretische Konzepte finden lassen, um das Ambivalente, das Doppeldeutige: Judith begeht einen Mord, wenn auch im Sinne der Sache des Volkes Israel. Salome verführt und stiftet zur Tötung einer für die Heilslehre zentralen Persönlichkeit an. Lucretia begeht das im christlichen Sinne größte Verbrechen. Sie mordet nicht, sondern tötet sich im Vorgriff ihrer Schändung selbst. Der deutsche Begriff Selbstmord wird zum Programm. Ihrer Tat wegen, die als noch schändlicher erachtet wird als Mord, sind solche Personen in der Zeit der Entstehung der Kachelreliefs nicht auf dem Friedhof, sondern auf dem Schindacker oder beim Galgen zu bestatten.

Allen Frauen dieser Gruppe gemeinsam ist, dass sie Macht über die Männer ausübten. Hier müssen wir auch Eva hinzufügen, die nach katholischer Lehrmeinung Adam verführte, so dass dieser in den Apfel des Baums der Erkenntnis biss – mit fatalen Folgen für uns alle.

Aber auch die andere Seite der Münze verdient Beachtung: Judith betört einen feindlichen Feldherren, der auf dem besten Wege dazu war, die Israeliten auszulöschen. Salome stiftet Herodes, der den Kindermord von Bethlehem in Auftrag gegeben hat, zum Mord an Johannes dem Täufer an. Sie stellt ihn öffentlich dadurch bloß. Lucretia entzieht sich einer Vergewaltigung durch Selbstmord. Sie sieht darin die einzige Möglichkeit, ihren moralischen Grundsätzen treu zu bleiben. Scholastisch werden mit den drei Figuren Grundprinzipien des Christentums aufgegriffen. Die christlichen Kirchen haben sich, beginnend mit der Legenda Aurea, stets mit solchen Figuren im Sinne von „Vorbildern“ auseinandergesetzt. Wurden in allen Fällen die negativen Aspekte ihres Handelns als notwendiges Übel erachtet? Zweifel sind angebracht. Zwei, Judith und Lucretia, lassen sich bedenkenlos der Gruppe der tugendhaften Heldinnen zuweisen. Für Salome, die dritte im Bunde, gilt das definitiv nicht.

Wir bewegen uns thematisch auf dem weiten Feld der Scholastik und der Hermeneutik. Es ergibt sich eine Bedeutungstiefe, die weit über die eigentliche Darstellung hinausgeht. Gleichzeitig geben uns die Kachelreliefs dieser Serie Informationen darüber, wie die Menschen jener Zeit, in der sie die Darstellungen auf den Öfen betrachten, diese zu interpretieren im Stande waren. Wir fassen mit archäologischen Artefakten das Mentale, also jenen Teil des menschlichen Lebens, dem ansonsten nur selten so nahe zu kommen ist.

Fundpunkte im Umfeld von Nürnberg, im Pfälzer Bergland und in Böhmen zeigen jeweils die Nähe zu regionalen Fertigungszentren auf. Eines davon lässt sich in der Großen Greifengasse in Speyer,16 ein weiteres in Prag17 verorten. Vieles deutet darauf hin, eine vergleichbare Werkstatt auch für Nürnberg oder für das direkte Umfeld von Nürnberg zu postulieren.

 

Harald Rosmanitz, Partenstein 2025


Weiterführende Literatur:

Appuhn-Radtke, Sibylle; Kayser, Eva (1986): Keramik. In: Irmela Franzke (Hg.): Die Renaissance im deutschen Südwesten zwischen Reformation und Dreißigjährigem Krieg, Bd. 2. Karlsruhe, S. 845–884.

Erhardt, Sabine (1994): Goller und Gugel, Schaube und Schappel. Kleidungsverhalten im Hall des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Albrecht Bedal und Isabella Fehle (Hg.): Hausgeschichten. Bauen und Wohnen im alten Hall und seiner Katharinenvorstadt. Sigmaringen: Thorbecke (Kataloge des Hällisch-Fränkischen Museums Schwäbisch Hall, 8), S. 179–209.

Grimm, Gerald Volker; Päffgen, Bernd (2013): Die angebrannte Schongauerin. Anmerkungen zu einem zur Herstellung von Backwerk umgenutzten Tonmodel der Mitte des 16. Jahrhunderts aus Schongau im Pfaffenwinkel /Oberbayern. In: Claudia Theune-Vogt (Hg.): Stadt – Land – Burg. Festschrift für Sabine Felgenhauer-Schmiedt zum 70. Geburtstag. Unter Mitarbeit von Sabine Felgenhauer-Schmiedt. Rahden/Westfalen: VML Vlg Marie Leidorf (Internationale Archäologie. Studia honoraria, 34), S. 345–353.

Kluttig-Altmann, Ralf (2017): Erhitzte Damen. Das Frauenbild auf Wittenberger Renaissancekacheln im Kontext von Cranachwerkstatt und Reformation. In: Christoph Rinne, Jochen Reinhard, Eva Roth Heege und Stefan Teuber (Hg.): Vom Bodenfund zum Buch. Archäologie durch die Zeiten. Festschrift für Andreas Heege zum 60. Geburtstag. Bonn, S. 233–272.

Leibinger, Dorothea (2017): Im Glanze ihres Angesichts. Frauendarstellungen auf einem Kachelofen des späten 16. Jahrhunderts aus dem Bremer Stephaniviertel. In: bonjour.Geschichte 5, S. 1–26.

Müller, Stefanie (2014): Kachelfunde aus dem Abwurf einer Töpferei in der Dresdner Frauenvorstadt. Analyse der Herstellungsweise von Ofenkeramik des 15./16. Jahrhunderts. Halle an der Saale.

Platz, Kai Thomas (1989): Ausgrabungen auf der Burg Hilpoltstein (Gemeinde Hilpoltstein, Lkr. Roth, Oberfranken). In: Das Archäologische Jahr in Bayern, S. 181–183.

Platz, Kai Thomas (2000): Hilpoltstein vom Frühmittelalter bis zur frühen Neuzeit. Archäologische baugeschichtliche und historische Aspekte zur Entwicklung einer mittelfränkischen Burg und Stadt. Büchenbach (Arbeiten zur Archäologie Süddeutschlands, 12).

Ronnefeldt, Christian (2017): Modelformen und Kachelfunde vom Augustusplatz in Leipzig. Katalog und Tafelteil. In: Christian Ronnefeldt (Hg.): Das Töpferhandwerk in der Grimmaischen Vorstadt in Leipzig. Funde und Befunde des 14. Jahrhunderts bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts vom Leipziger Augustusplatz. (masch. Diss.), Bd. 2.1. Bamberg.

Rosmanitz, Harald (2014): Luther und die Sieben Freien Künste. Die Wittenberger Ofenkeramik und ihre Bezüge zu Südwestdeutschland. In: Harald Meller (Hg.): Mitteldeutschland im Zeitalter der Reformation. Halle an der Saale: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt (Forschungsberichte des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle, 4), S. 193–203.

Rosmanitz, Harald (2022): Reliefierte Ofenkacheln des Spätmittelalters und der Neuzeit aus dem Spessart im Spannungsfeld von Motivgeber, Handwerker und Verbraucher. Möglichkeiten und Grenzen einer induktiven Kontextualisierung. (masch. Diss.). Partenstein.

Rosmanitz, Harald (2023): Die Ofenkacheln der Burg Hilpoltstein. In: Bericht der Bayerischen Bodendenkmalpflege 63 (2022), S. 379–413.

Strauss, Konrad (1983): Die Kachelkunst des 15. bis 17. Jahrhunderts in europäischen Ländern. III. Teil. München: Heydenreich.

Wegner, Martina (2018): Durchlauchtige Frauen und sieghafte Helden. Reformationsthematik auf frühneuzeitlicher Ofenkeramik aus Leipzig. In: Joachim Müller (Hg.): Archäologie des Glaubens. Umbrüche und Konflikte. Paderborn: Deutsche Gesellschaft für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit e.V (Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit, 31), S. 115–122.

Wegner, Martina (2023): Sächsische Ofenkeramik der frühen Neuzeit. Produktion und Bildmotive sowie deren Ausbreitung am Beispiel der Töpfereiabwürfe vom Wilhelm-Leuschner-Platz in Leipzig. Dresden (Veröffentlichungen des Landesamtes für Archäologie Sachsen, 84).

Žegklitz, Jaromír (2019): Kachle z dílny hrnčíře Adama Špačka (1531-1572) na Novém Městě pražském. Praha (Archaeologica Pragensia Supplementum, 5).

 

  1. Platz 1989; Platz 2000.
  2. Ich danke dem Leiter des Museums „Schwarzes Roß“ in Hilpoltstein, Herrn Peter Hagenmeier +, für die Zugänglichmachung des Fundguts.
  3. Rosmanitz 2023.
  4. Rosmanitz 2023, S. 381.
  5. Aufgrund ihrer Kleinteiligkeit bilden die Hilpoltsteiner Kachelfragmente mit einer nachweisbaren Verbindung von Rahmen und zugehörigem Feld eher die Ausnahme.
  6. Appuhn-Radtke/Kayser 1986, S. 872, Kat.-Nr. 531; Strauss 1983, S.64-66, Taf. 123.1-2, Taf. 124.1-2; Žegklitz 2019, S. 203-204, Kat.-Nr. 21, S. 214, Kat.-Nr. 30.
  7. Müller 2014, S. 45.
  8. Erhardt 1994, S. 188; Grimm/Päffgen 2013, S. 347.
  9. Rosmanitz 2014.
  10. Rosmanitz 2022, Taf. 390.1; Rosmanitz 2023, S.383, Abb. 4; Strauss 1983, Taf. 123-124.
  11. Rosmanitz 2023,S. 384, Abb. 6.
  12. Žegklitz 2019, S. 135, Abb. 134b.
  13. Rosmanitz 2022,Taf. 390.2; Strauss 1983, Taf. 124.
  14. Ronnefeldt 2017, S. 161-165; Wegner 2018; Wegner 2023, S. 202-2045.
  15. Kluttig-Altmann 2017, S. 259-263; Leibinger 2017, S. 11-15.
  16. Strauss 1983, S. 63-66
  17. Žegklitz/Šmolíková 2019, S. 45-66