von Rolf Mari
Über Pfeiffiguren oder Flötchen, wie der Westerwälder sagt, aus weißen oder rotbraunen Pfeifenton ist in der Vergangenheit schon mehrmals publiziert worden. Ich verweise hier vor allem auf die ausführlichen Arbeiten von Martin Kügler.[1] Die vorliegende Ausführung widmet sich speziell Pfeiffiguren aus grau, manganviolett oder grau-blau bemaltem, salzglasierten Steinzeug.[2] Die Objekte stammen aus der ca. 8000 Stück umfassenden „Sammlung Rolf Mari – Pfeiffiguren aus aller Welt“.[3]
Neben Flötchen ist auch die Bezeichnung Kuckuck gebräuchlich. Kuckuck daher, da die Figur zusätzlich zur eingearbeiteten Pfeife mit einem Loch versehen ist. Durch Einblasen und wechselndes Auf- und Zuhalten des Loches lässt sich der Kuckucksruf recht gut imitieren. Eine weitere Form ist die Wasserpfeife, die aus dem Figurenkörper besteht, in den Wasser eingefüllt wird. Ein offenes Walzenpfeifchen ist so in die Wandung eingesetzt, dass der durch den Windkanal kommende Blasstrom die Wasseroberfläche bewegt. Hierdurch lässt sich ein Zwitschern oder Trillern erzeugen. Ein geschicktes Blasen kann Vogelgezwitscher wie zum Beispiel das einer Nachtigall naturgetreu nachahmen.
Wann im Kannenbäckerland begonnen wurde, insbesondere salzglasierte, oder überhaupt Pfeiffiguren in größeren Stückzahlen herzustellen, ist nicht exakt belegt, allgemein gilt dafür die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Produktionshöhepunkt dürfte schon in den zwanziger bis dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts überschritten gewesen sein. Der Verkauf erfolgte auf Jahrmärkten, Kirchweihfesten und in den gerade gegründeten Tand- und Spielzeuggeschäften. Kleinere Figuren waren Füllmaterial für die damals beliebten Wundertüten.
Als Formen zu benennen sind von Hand geformte Walzenpfeifen, ca. 5 cm lang und ca. 4 cm hoch als Pfeifvögelchen ausgebildet, mit Kniebistechnik verziert und mit Kobaltsmalte bemalt (Abb. 1). Sie sind sicherlich noch keine Erzeugnisse einer Serienfabrikation, sondern sind eher als „Bosselarbeit“ eines Töpfers anzusehen. Zu den Walzenpfeifen gesellt sich eine Wasserpfeife in Gestalt einer grauglasierten ca. 6.5 cm hohen Eule mit abgebrochenen Pfeifenstutzen. Diese Figur wurde schon in einer Form hergestellt. Ein gleiches, ebenfalls beschädigtes Objekt ist im Kölner Stadtmuseum vorhanden. Alle vorgestellten Figuren sind Bodenfunde aus Höhr-Grenzhausen. Sie können aufgrund von Beifunden in die erste Hälfte des 19.Jahrhunderts datiert werden. Sie stellen die ältesten salzglasierten Objekte der Sammlung dar. Die nachfolgenden Pfeiffiguren wurden ausschließlich in Formen und wesentlich späterproduziert:
Die „Alte Steinzeugwaaren-Fabrik Hanke“ in Höhr fertigte hauptsächlich salzglasierte Krüge, Humpen, Flaschen, Vasen und Pokale daneben auch Vogelpfeifen. Dies zeigt die abgebildete Kopie (Abb. 2) aus einem undatierten Katalog. Reinhold Hanke begann 1868 mit dem Aufbau seines Unternehmens, das 1921 wegen einer Brandkatastrophe die Produktion mehr oder weniger einstellen musste. So könnte die ca. 13 cm hohe Eule (Abb. 3) durchaus aus der Fabrikation von Hanke stammen. Bisher sind noch zwei ähnliche Eulen bekannt. Die eine gehört in die Sammlung Peltner, Höhr-Grenzhausen4.[4] Die andere gehört in die Sammlung Mauke, Leverkusen; sie wurde im Antikhandel erworben. Alle Eulen haben unterschiedliche Oberflächengestaltung in der Ausbildung des Federkleides und des Farbtones der Salzglasur.
Die Abbildungen 3 und 4 zeigen weitere zwischen 7 und 10 cm hohe Kuckucke oder Wasserpfeifen. Der Durchmesser der Füße beträgt durchschnittlich vier Zentimeter. Ein kleiner, ca. 4.5 cm hoher, blau glasierter Adler (Abb. 4) war vermutlich nicht als Pfeiffigur gedacht, sondern sollte sicherlich angarniert zur Verzierung eines Historismus-Gefäßes dienen.
Eine weitere, ca. 11 cm hohe Pfeiffigur (Abb. 5) zeigt den deutschen Kaiser Wilhelm II. zu Pferde. Die Pfeife ist in die Bodenplatte eingearbeitet. Sehr schön ist auch die ca. 11 cm hohe, grau-blau und manganviolett glasierte Wasserpfeife in Gestalt eines Jägers mit Hund (Abb. 5).
Leider ist eine zeitliche wie auch Hersteller-Zuordnung der Objekte aufgrund fehlender Dokumentation noch nicht möglich. Lediglich aus Adressbüchern der keramischen Industrie können Anhaltspunkte über Vertrieb eventuell mit der dazu gehörenden Produktion entnommen werden.
So sind in der Ausgabe vom Mai 1910 nachfolgende Steinzeugfabriken genannt: Joh. Vetter, Baumbach: Kinderflöten; Eckhardt & Engler, Höhr: Kuckucks- u. Kinderspielwaren; Krebs & Co GmbH, Vallendar: Kinderflöten; Aug. Menningen, Höhr: Kinderspielsachen, Kuckucks und Spardosen; Dümler & Breiden, Höhr: Kuckucke; Heinrich Cremer, Höhr; Kuckucks.
Ob bei den folgenden Firmen unter dem Begriff Spielzeug auch Wasserpfeifen oder Kuckucke zu verstehen sind, lässt sich nur vermuten: Gelhard Nachf, Hilgert: Tonpfeifen, Steinzeugspielwaren; Jacob Enders, Höhr: Kinderspielsachen; Peter Enders-Gerz, Höhr: Kinderspielzeug; Clemens Quirmbach, Höhr: Spielzeug.
1920 wurde im Keramischen Adressbuch nur noch die Steinzeugwarenfabrik Ernst Dümler in Höhr genannt, die Steinzeugspielwaren und Kuckucke im Programm hatte.
Es gibt eine interessante Zeitungsnotiz aus April 1935 über Peter Nipp mit dem Titel „Peter Nipp und der Kitsch“.[5] Leider ist nur der Zeitungsbeleg nicht aber die Zeitung an sich bekannt. Es wird gekürzt zitiert: „Man hatte es anscheinend um die Jahrhundertwende herum vergessen, daß man auf der Töpferscheibe keine viereckigen Zierkästchen herstellen kann, und daß zierliche Füße unter Zuckerdosen wohl der Goldschmidt, nicht aber der Töpfer befestigen kann. Man vergaß, daß man den Werkstoff vergewaltigte, Grundgesetze der Kunst über den Haufen stieß, mit unechten Farben nie wahre Wirkung erzielen konnte, und eine ganze Generation vergaß, was echte Kunst und echtes Handwerk ist.“
„Da wohnt in Höhr in Westfalen ein 80jähriger Töpfer. Von seinem Vater hat er alte Kunstfertigkeit ererbt. Aber 50 Jahre mußte er Kuckuckspfeifen formen, blau getönt, weil niemand seine Kunst wollte, bis sie heute in der Töpferausstellung neben dem Massenkitsch steht und zeigt, was Handwerk und was tote Ware ist. Seine herrlichen Krüge mit germanisch verschlungenen Ornamenten mit Rehen und Hirschen verziert, eingeritzt und echt gefärbt, sind Prachtwerke. Nun darf Peter Nipp wieder des Vaters Werk weiterpflegen und muß sich nicht mit Kuckuckspfeifen abquälen, die aber neben dem bunten Porzellanflitter sehr wohl bestehen können, weil sich echt sind, nicht abfärben und ihren Zweck erfüllen, indem sie uns als Kinder sehr viel Freude bereiteten.“ Unabhängig des nationalsozialistischen Gedankengutes belegt dieser Artikel, dass eine Person fünfzig Jahre lang blau-bemalte Kuckucke produziert hat. Gemäß eines erhaltenen Rechnungs-Auszuges firmierte die Firma des Vaters von Peter Nipp unter dem Namen Johann Peter Nipp in Höhr: Spielwaren-, Spardosen- und Okarina – Fabrik, Spezialität: Okarinas.
All diese Informationen zeigen, dass nicht nur die traditionellen Pfeifenbäckereien für Tabakspfeifen, sondern auch eine Vielzahl von Steinzeugfabriken Pfeiffiguren salzglasiert haben. Offen muss bleiben, ob die Steinzeugfabriken die geschrühten Figuren von den Pfeifenbäckerwerkstätten bezogen, oder selbst die Figuren aus eigenen Formen produziert haben. Vermutlich wurden doch erhebliche Stückzahlen von salzglasierten Pfeiffiguren gefertigt.
Damit ergibt sich die Frage: Wo sind diese Figuren geblieben? Wird der Inhalt privater wie auch musealer Sammlungen addiert[6], zuzüglich einer angenommenen Zahl in verschiedenen Privathaushalten ergibt sich eine Hochrechnung von ca. 50 80 noch existierenden Objekten. Das steht in keinem Verhältnis zu den im gleichen Zeitraum hergestellten Hunderten von Flötchen aus weißen oder roten Pfeifenton.
Zum Abschluss noch eine kleine spannende Information: Vom 17.-19.März 1914 wurde bei Lempertz in Köln unter der Versteigerungs-Nr. 540 die Sammlung von 44 Stück Kinderspielsachen, vermutlich auch Flötchen, aus grau-blauen Steinzeug aus der Sammlung Peter Dümler, Höhr versteigert.
Weiterführende Literatur:
Adressbuch der Keram – Industrie. Coburg, Ausgabe 1910 und 1920.
Martin Kügler, Figuren aus Pfeifenton, in: Werner Loibl u. Werner Endres (Hgg.), Beiträge zur handwerklichen fränkischen Keramik, Lohr a. Main 1988, S. 50-57
Harald Reinhold,: Reinhold und August Hanke. Höhr-Grenzhausen 1986.
Anmerkungen:
[1] Kügler 1988, S. 50-57.
[2] Auf die Beschreibung von Glasur- und Brenntechniken wird nicht näher eingegangen.
[3] Die besprochenen und gezeigten Objekte wurden im Antikhandel oder auf Flohmärkten erworben.
[4] Nach Aussage von Herrn Peltner stammt die Eule aus dem abgebrochenen Ofen der Firma Eckhard & Engler in Höhr.
[5] Handakten aus der Bibliothek des Keramikmuseums Westerwald, Höhr-Grenzhausen.
[6] Diese Sammlungen sind dem Autor in Europa bekannt.