Eine Napfkachel mit duchbrochenem Vorsatzblatt aus Zweibrücken

Fragment einer Napfkachel mit durchbrochenem Vorsatzblatt, grün glasiert, 2. Drittel 14. Jh., H. 15,4 cm, Br. 15,5 cm, T. 12,5 cm, Speyer, Historisches Museum der Pfalz, urspr. Zweibrücken, Alte FasanerieDie grün glasierte Napfkachel mit durchbrochenem Vorsatzblatt[1] stammt aus der Alten Fasanerie bei Zweibrücken.[2] Die ursprünglich zum Heizraum weisende Rückseite der Kachel ist eine voll ausgeprägte Napfkachel mit zur Mitte hin leicht einziehendem Boden, einer leicht ausschwingenden, sowohl auf der Innen als auch auf der Außenseite stark geriffelten Wandung sowie mit einer glatt abgeschnitten Mündung. An diese garnierte der Hafner ein modelgeformtes, vergleichsweise dickes Vorsatzblatt an. Dieses wurde so beschnitten, dass die angesetzte Napfkachel auch nach der Positionierung im Ofenkörper noch deutlich sichtbar ist. Die Sollbruchstelle zwischen Vorsatzblatt und Napfkachel wurde durch einen außen angelegten und gleichmäßig verstrichenen Tonwults verstärkt.[3] Das Vorsatzblatt zeigt eine Arkade mit einfach genastem Segmentbogen sowie mit blattbesetzten Zwickeln. Das architektonische Bildmotiv wird von einer um das Bildfeld gelegten, auskragenden, glatten Leiste umschlossen.

Bei der Napfkachel mit durchbrochenem Vorsatzblatt handelt es sich primär um eine Aufwertung der scheibengedrehten, flächendeckend in den Ofen einbaubaren, einfachen Napfkachel. Das reliefierte Vorsatzblatt erlaubt aufgrund der dafür eingesetzten Bildsprache eine über die Datierung des archäologischen Kontextes hinausgehende zeitliche Einordnung mit dem Instrumentarium der Motivanalyse.

In der hier besprochenen Kachelform manifestiert sich die flächige Ausgestaltung des Kachelofens als Träger von Bildinhalten. Dieser begann oberhalb des Oberofens mit dem Aufsetzen eines anthropomorphen Aufsatzes[4], bezog ab dem 14. Jahrhundert Teller- und Pilzkacheln ein und verlief zeitlich parallel mit der Entwicklung der Napfkachel mit durchbrochenem Vorsatzblatt sowie der Nischenkachel. Der Versuch, die frühe reliefierte Ofenkeramik in ein chronotypologisches System einzubinden[5], hält der Korrelation mit dem archäologischen Befund nicht stand. Dies gilt es sowohl unter dem Aspekt der Vergesellschaftung von Kachelformen als auch im Hinblick auf die relative und absolute Datierung entsprechender aus einem geschlossenen Befund stammender Kacheln zu berücksichtigen.

Das Hauptverbreitungsgebiet im schweizerischen Mittelland[6] lässt geographisch einen Raum aufscheinen, in dem sich diese Kachelform augenfällig größter Beliebtheit erfreute. Daraus dem Schluss zu ziehen, dass die Kachelform schweizerischen Ursprung ist, liegt nahe, lässt sich aber nach derzeitigem Forschungsstand nicht mit absoluter Sicherheit postulieren. Besondere Beachtung hat in diesem Zusammenhang die Parallelentwicklung am Untermain, in Schwaben, im Bodenseeraum, am Oberrhein, in Köln, im Elsass, in Lothringen, in Böhmen oder auf dem Balkan verdient. Für die letztgenannte Region dürften die Aufenthaltsorte der ungarischen Könige eine entscheidende Rolle gespielt haben.[7] Im Gegensatz zu den unglasierten Becher-, Spitz- und Nischenkacheln kommt den Napfkacheln mit reliefiertem Vorsatzblatt mit ihren glasierten Vorderseiten durchaus der Status eine Austattungsgutes zu, welches als sozialer Indikator bei der Selbstinszenierung des Adels und des Klerus eine nicht unbedeutende Rolle gespielt haben dürfte. Am Beispiel der Schweiz lässt sich aufzeigen, wie schnell die Massenfertigung eines solchen Produktes zur Verwässerung eines solchen Alleinstellungsmerkmals führte.

Eine relative Chronologie oder auch Aussagen über die Laufzeit oder Vergesellschaftung einzelner Motive wäre nur mithilfe einer umfassenden Materialanalyse des schweizerischen Mittellandes möglich. In den anderen Regionen fehlen für entsprechende Überlegung bislang die erforderlichen Vergleichsstücke. Auch über das ursprüngliche Aussehen solcher Öfen können bis auf wenige Ausnahmen nur Vermutungen angestellt werden. Rekonstruiert Gabriele Keck den Ofen von der Gelstelnburg im Kanton Wallis als vollständig aus reliefierten Kacheln bestehenden Ofen mit zylindrischem Oberofen[8] sprechen Befunde aus Südwestdeutschland dafür, dass der Feuerkasten primär mit Becher-, Teller- oder Napfkacheln besetzt war. Ein solch sparsamer Umgang mit reliefierten Ofenkeramiken im Bereich des Feuerkastens setzt sich bei den Öfen fort, in denen Nischenkacheln vom Typ Tannenberg zum Einsatz kamen.[9] Die Produktionszentren reliefierter Nischen- und Kranzkacheln des Typs Tannenberg im Rheinland und am Untermain verdrängten im letzten Drittel des 14. Jahrhunderts die Fertigung von Napfkacheln mit durchbrochenen Vorsatzblättern. Als wesentlich langlebiger erwiesen sich die parallel zu der hier vorgestellten Kachelform entwickelten Napfkacheln mit geschlossenen Vorsatzblättern. Um die gewünschte Wärmeabgabe zu erzielen, musste bei den letztgenannten Kacheln der Boden der an das reliefierte Vorsatzblatt rückseitig angarnierten Napfkachel abgeschnitten werden. In Böhmen und im benachbarten Sachsen[10] war diese Kachelform noch bis an Ende des 15. Jahrhunderts in Gebrauch.

Viele Worte um eine Sache

Wie bei den Napfkacheln wurden die Napfkacheln mit durchbrochenen Vorsatzblättern mit zahlreichen anderweitigen Titulierungen versehen. Sune Ambrosiani kategorisierte sie in seiner 1919 publizierten Dissertation als Typ 38 (Konkave Kacheln der Gruppe A – Kombination topfähnlicher konkaver Kacheln mit ganzen oder durchbrochenen Platten vor der Mündung).[11] Diese etwas sperrige Titulierung konnte sich in der Folge nicht durchsetzen. So subsumiert Jacob Horand 1942 die Form unter Nischenkacheln und Hans-Ulrich Haedeke 1965 unter Schüsselkacheln.[12] Jean Paul Minne und in der Folge auch Guillaume Huot-Marchand sprechen von Nischenkacheln mit horizontaler Achse (Corps d´ancrage de niche tournee, axe horizontal).[13] Mit der von Eva Roth Heege in ihrer Terminologie vorgenommenen Kategorisierung als zusammengesetzte Nischenkachel mit napf- oder schüsselförmigem Rumpf schließt sie sich der Begrifflichkeit von Jürg Tauber aus dem Jahre 1980 an.[14] Die Benennung versteht sich bei den beiden schweizerischen Autoren als eine von der Schauseite her entwickelte. Es folgen Bezeichnungen als Schüsselkachel mit quadratischer Mündung (1981)[15], durchbrochener Blattkachel (1993)[16], Blattschüsselkachel mit ausgeschnittenem Blatt (1998)[17], als Blatt-Schüsselkachel (1999)[18], als quadratische Füllkachel mit ausgeschnittenem Vorsatzblatt und als radbündig anmodelliertem Napf (2011)[19]. Erstmals wendet Peter Prüssing 2013 unter Bezugnahme auf die für FurnArch entwickelte Terminologie den Terminus der Napfkacheln mit durchbrochenem Vorsatzblatt an.[20]


Fragment einer Napfkachel mit durchbrochenem Vorsatzblatt mit nasenbesetztem Segmentbogen
grün glasiert, zweites Drittel 14. Jh., H. 15,4 cm, Br. 15,5 cm, T. 12,5 cm

Speyer, Historisches Museum der Pfalz, urspr. Zweibrücken, Alte Fasanerie
Fragment einer Napfkachel mit durchbrochenem Vorsatzblatt mit Dreipässen
gelb glasiert, zweites Drittel 14. Jh., H. 6,2 cm, Br. 7,2 cm, T. 2,7 cm

Partenstein, Museum Ahler Kram, urspr. Partenstein, Burg Bartenstein
Fragment einer Napfkachel mit durchbrochenem Vorsatzblatt mit Vierpässen
grün glasiert, zweites Drittel 14. Jh

Leipzig, Grassi Museum für Angewandte Kunst
Fragment einer Napfkachel mit durchbrochenem Vorsatzblatt mit einem Biforium mit Lanzettfenstern
gelb glasiert, zweites Drittel 14. Jh

Breisach, Museum für Stadtgeschichte
Fragment einer Napfkachel mit durchbrochenem Vorsatzblatt mit dreipassbesetztem Medaillon
gelb glasiert, zweites Drittel 14. Jh., H. 12,5 cm, Br. 14,9 cm, T. 4,4 cm

Speyer, Historisches Museum der Pfalz
Fragment einer Napfkachel mit durchbrochenem Vorsatzblatt mit krabbenbesetztem Segmentbogen
gelb glasiert, zweites Drittel 14. Jh., H. 22,6 cm, Br. 19,0 cm, T. 17,0 cm

Düsseldorf, Hetjens-Museum
Fragment einer Napfkachel mit durchbrochenem Vorsatzblatt mit genastem Spitzbogen und einem Löwen im linken Zwickel
gelb glasiert, 2. Drittel 14. Jh., H. 18,3 cm, Br. 7,3 cm, T. 4,6 cm

Frankfurt ba. M., Archäologisches Museum, urspr. Frankfurt a. M., Altstadt


Weiterführende Literatur:

Karl Sune Fredrik Ambrosiani, Zur Typologie der älteren Kacheln. Univ., Diss.–Uppsala 1910.

Péter Boldizsár, Gótikus kályhacsempék az újabb budavári ásatás leletanyagából. [Gotische Ofenkacheln aus dem Fundmaterial der neueren Ausgrabung auf dem Gebiet der Burg von Buda]. In: A Móra Ferenc Múzeum évkönyve 1988, S. 95–110.

Werner Endres, Ritterburg und Fürstenschloß. 2: Archäologische Funde. Regensburg 1998.

Alfred Falk, Hoch- und spätmittelalterliche Ofenkeramik in Lübeck. In: Manfred Schneider (Hg.): Von der Feuerstelle zum Kachelofen. Heizanlagen und Ofenkeramik vom Mittelalter bis zur Neuzeit; Beiträge des 3. wissenschaftlichen Kolloquiums Stralsund 9. – 11. Dezember 1999. Stralsund2001 (Stralsunder Beiträge zur Archäologie, Geschichte, Kunst und Volkskunde in Vorpommern, 3), S. 64–79.

Rosemarie Franz, Der Kachelofen. Entstehung und kunstgeschichtliche Entwicklung vom Mittelalter bis zum Ausgang des Klassizismus. 2. verb. u. verm. Aufl. Graz 1981.

Sören Frommer, Bisingen. Burgstall Ror. Die Geschichte einer Truchsessenburg in bewegter Zeit. Bisingen 2015.

Hans-Ulrich Haedeke, Eine Kölner Ofenkachel aus dem 14. Jahrhundert. In: Peter Bloch (Hg.): Miscellanea pro arte. Hermann Schnitzler zur Vollendung des 60. Lebensjahres am 13. Januar 1965. Düsseldorf 1965 (Schriften des Pro Arte Medii Aevi, 1), S. 286–290.

Karl Heid, Spätmittelalterliche Keramik aus Baden. In: Badener Neujahrsblätter 22 1947, S. 47–48.

Matthias Henkel, Der Kachelofen. Ein Gegenstand der Wohnkultur im Wandel. Eine volkskundlich-archäologische Studie auf der Basis der Hildesheimer Quellen. (masch. Diss.). Nürnberg 1999.

Jakob Horand, Die Ausgrabungen der mittelalterlichen Burgruine Bischofstein bei Sissach. In: Baselbieter Heimatbuch 1 1942, S. 34–108.

Guillaume Huot-Marchand, La céramique de poêle en Lorraine au Moyen Age et au début de l’époque moderne. Haroué 2006.

Gabriele Keck, Ein Kachelofen der Manesse-Zeit. Ofenkeramik aus der Gestelnburg/Wallis. In: Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte (50) 1993, S. 321–356.

Gabriele Keck, Modelschneider und Hafner im 14. Jahrhundert. Der Reliefkachelofen aus der Gestelnburg/Wallis. In: Werner Endres (Hg.): Zur Regionalität der Keramik des Mittelalters und der Neuzeit. Beiträge des 26. Internationalen Hafnerei-Symposiums, Soest 5.10. – 9.10.1993. Bonn 1995 (Denkmalpflege und Forschung in Westfalen, 32), S. 51–60.

Gabriele Keck, Un poêle au temps des chevalies. La céramique du poêle du châ teau de Gestelnburg/Valais (Suisse). In: Annick Richard und Jean-Jaques Schwien (Hg.): Archéologie du poêle en céramique du Haut Moyen Âge à l’époque moderne. Technologie, dècors, aspects culturels. Actes de la table ronde de Montbéliard 23-24 mars 1995. Dijon 2000 (Revue Archéologique de l´Est, 5), S. 33–41.

Annamaria Matter u. Werner Wild, Frühe Kachelöfen aus dem Kanton Zürich. Archäologische Funde und Befunde (12. bis 15. Jahrhundert). In: Werner Endres und Konrad Spindler (Hg.): Beiträge vom 34. Internationalen Hafnerei-Symposium auf Schloß Maretsch in Bozen/Südtirol 2001. Innsbruck 2003 (Nearchos, 12), S. 261–269.

Jean-Paul Minne, La céramique de poêle de l’Alsace médiéval. Strasbourg 1977.

Stefanie Müller, Kachelfunde aus dem Abwurf einer Töpferei in der Dresdner Frauenvorstadt. Analyse der Herstellungsweise von Ofenkeramik des 15./16. Jahrhunderts. Halle (Saale) 2014.

Vojtěch Pařík u. Zdeněk Hazlbauer, Technologie výroby gotických kachlů s prořezávanou čelní stěnou. [Erzeugungstechnologie der gotischen Kacheln mit der durchbrochenen Vorderwand]. In: Archaeologia historica 16 1991, S. 293–304.

Peter Prüssing, Mittelalterliche und frühneuzeitliche Ofenkacheln aus Dieburg. Ein Beitrag zur Geschichte des Kachelofens. In: Beiträge zur Erforschung des Odenwaldes und seiner Randlandschaften 8 2013, S. 241–300.

Harald Rosmanitz, Die Ofenkacheln vom Typ Tannenberg. Eine spätgotische Massenproduktion im Spannungsfeld von Produzent und Konsument. In: Stefan Hesse, Tobias Gärtner und Sonja König (Hg.): Von der Weser in die Welt. Festschrift für Hans-Georg Stephan zum 65. Geburtstag. Langenweißbach 2015 (Alteuropäische Forschungen, NF 7), S. 355–373.

Eva Roth Heege (Hg.), Ofenkeramik und Kachelofen. Typologie, Terminologie und Rekonstruktion im deutschsprachigen Raum. Basel 2012 (Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters, 39).

Rudolf Schnyder, Mittelalterliche Ofenkeramik. Bd. 1: Das Züricher Hafnerhandwerk im 14. und 15. Jahrhundert. Zürich 2011.

Jürg Tauber, Herd und Ofen im Mittelalter. Untersuchungen zur Kulturgeschichte am archäologischen Material vornehmlich der Nordwestschweiz (9. – 14. Jahrhundert). Zugl.: Basel, Univ., Diss., 1980. Olten, Freiburg i. Br. 1980 (Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters, 7).


Harald Rosmanitz, Partenstein 2016


Anmerkungen:

[1] Roth Heege weist die Napfkachel mit durchbrochenem Vorsatzblatt den zusammengesetzten Nischenkacheln mit napf- oder schüsselförmigem Rumpf (Typ 9.4) zu (Roth Heege 2012, S. 261). Ihre Typendefinition übernahm sie von Jürg Tauber (Tauber 1980, S. 16 u. 329)

[2] Zweibrücken, Alte Fasanerie E 75/136 (Speyer, Historisches Museum der Pfalz, Karton-Nr. 36312)

[3] Zur Fertigungstechnik: Parík/Hazlbauer 1991, S. 293-304.

[4] Heid 1947, S. 47-48; Falk 2001, S. 67; Matter 1997, S. 93; Matter/Wild 2003, S. 265, Abb. 7; Frommer 2015.

[5] Franz 1981, Fig. 12.

[6] Roth Heege 2012, S. 261.

[7] Boldizsár 1988, S. 33-34.

[8] Keck 1993, S. 321-356; Keck 1995, S. 51-60; Keck 2000, S. 33-41.

[9] Rosmanitz 2015, S.362-364.

[10]Krabath 2012, S. 138, Abb. 162; Müller 2014, S. 40-48.

[11] Ambrosiani 1919, S. 59-60.

[12] Horand 1942, S. 83; Haedeke 1965, S. 83.

[13] Minne 1977, S, 37-39; Huot-Marchand 2006, S. 68-70.

[14] Roth Heege 2012, S. 261; Tauber 1980, S. 16 u. 329.

[15] Franz 1981, Fig. 12a.

[16] Keck 1993, S. 331-333.

[17] Endres 1998, S. 15.

[18] Henkel 1999, S. 23-25.

[19] Schnyder 2011, S. 20-23.

[20] Prüssing 2013, S. 244-245.