Im Bachgaumuseum in Großostheim hat sich eine Spitzkachel1 erhalten. Sie wurde beim Neubau der Volksbank in Großostheim geborgen. In ihrer Form entspricht sie ähnlichen hoch- und spätmittelalterliche Kacheln am gesamten Untermain, in Hessen und in Thüringen. Die grob elliptische Kachel wurde auf der schnell drehenden Töpferscheibe gefertigt, wobei der Boden vergleichsweise dick belassen und erst nachträglich spitz ausgedrückt wurde. Die nachträgliche Freihandausformung verleiht den Stücken insbesondere im unteren Drittel eine unruhige Oberfläche, die zusätzlich mit Fingereindrücken belebt wurde. Die Kachel läuft nach unten hin in einer Spitze aus. Sie ist namensgebend für diese Art von Ofenkachel. Ihr Rand ist leicht s-förmig geschwungen und bildet unterhalb der Mündung eine Kehle aus. Mit der Kehle war es möglich, die Keramik im Oberlehm des Ofenkörpers dauerhaft zu verankern. Kacheln dieser Art waren insbesondere im Rhein-Main-Raum weit verbreitet. Der Main bildet dabei – vom Rhein-Main-Gebiet abgesehen, ziemlich exakt die Südgrenze der Verbreitung. Nach Norden hin definiert sich das Verbreitungsgebiet durch Funde aus Niedersachsen und Westfalen2. In Entsprechung zu untermainischen Fundkomplexen lassen sich in Westfalen die frühesten Spitzkacheln in das ausgehende 12. Jahrhundert datieren3. Nur unwesentlich jünger sind die Spitzkacheln aus dem niedersächsischen Einbeck4. Der Schlusspunkt der Entwicklung der Spitzenkachel wird für das erste Drittel des 14. Jahrhunderts angenommen. Allerdings wurden auch noch um 1400 in Coppengrave Kacheln dieser Art gefertigt5.
Hans-Georg Stephan sprach 1991 davon, dass nach derzeitigem Forschungsstand die „vom Scherben her relativ archaisch wirkenden [Spitzkacheln]“ lediglich eine „grobe Datierung“ erlauben6. Klaus Engelbach (1993), Lutz Jansen (2001) und Julia Hallenkamp-Lumpe (2006) haben diese Kachelform in ein chronologisches Grundgerüst eingebunden7. Kriterien sind dabei die Grundform, die Furchung beziehungsweise Riefung unterhalb der Mündung sowie der Trend zur einheitlichen Scherbenfarbe. Die Spitzkacheln vom Anfang des 14. Jahrhunderts unterscheiden sich mit ihrem glatt abgestrichenen Rand, ihrem vergleichsweise großen Mündungsdurchmesser und der steilen Spitze deutlich von ihren hochmittelalterlichen Vorgängern. Während des gesamten Verlaufs der Entwicklung ist dabei die Tendenz festzustellen, das Ganze mit Hilfe eines Standring oder der eines gekniffenen Fußes den ebenfalls in jenen Epochen verwendeten Becherkacheln anzugleichen. Obwohl, zumindest nach derzeitiger Befundlage, beide Kachelformen zeitgleich vorhanden waren, wurden sie niemals gemeinsam in einem Ofen verbaut. Um die Entwicklung zu verdeutlichen und die formale Spannbreite auzuzeigen, wurde die siebenteilige Gliederung Jansens (Typ G-M)8 auf drei Formen reduziert: auf die schwach gebauchte Spitzbodenkachel mit ausbiegenden Dreiecksrändern (Jansen Typ H), auf die schlanke Spitzbodenkachel mit Dreiecksrand und abgesetzter Schulter (Jensen Typ K) und auf die schlanke Spitzbodenkachel (Jansen Typ M).
Spitzkacheln waren in losem Verband in die Wandung eines kalottenförmigen Ofens eingebaut. Dabei wies die Spitze stets zum Ofeninneren. Kombinationen von Spitzkacheln mit Becher-, Teller-, Pilz-, Napf- oder Halbzylinderkacheln sind bislang nicht nachgewiesen. Über die Grundform der Öfen geben die Funde aus dem Kloster Breitenau und aus Büdigen-Großendorf Auskunft9.
Weiterführende Literatur:
Karl Sune Fredrik Ambrosiani, Zur Typologie der älteren Kacheln. Univ., Diss.–Uppsala, 1910, Stockholm 1910.
Rainer Atzbach, Katrin Atzbach, Marburgs heiligster Ort. Ausgrabungen 1970/71 am Standort der Hospitalgründung der heiligen Elisabeth, (Marburger Stadtschriften zur Geschichte und Kultur) Marburg 2007.
Walter Bauer, Burg Wartenberg bei Angersbach (Oberhessen). Bericht über die Ausgrabungen. B: Funde, in: Prähistorische Zeitschrift 39 (1961), S. 233–236.
Walter Bauer, Grabungen und Funde in der Burg zu Wilnsdorf (Kreis Siegen), in: Walter Bauer, Herbert Engemann, Hans-Wilhelm Heine, Uwe Lobbedey, Hans-Georg Stephan (Hg.), Beiträge zur archäologischen Burgenforschung und zur Keramik des Mittelalters in Westfalen (Denkmalpflege und Forschung in Westfalen Bd. 2), Bonn 1979, S. 153–178.
Klaus Engelbach, Ofenkacheln und Kachelöfen des 14. Jahrhunderts in Mittelhessen. Beiträge vom 25. Internationalen Hafnerei-Symposium in Lienz/Osttirol 1992. Nearchos 1, 1993, S. 127-142.
H. Eversberg, Ofenkacheln und Schalltöpfe, in: Ferdinand Seibt (Hg.), Vergessene Zeiten – Mittelalter im Ruhrgebiet. Katalog zur Ausstellung im Ruhrlandmuseum Essen, 26. September 1990 bis 6. Januar 1991, Essen 1990, S. 154.
Rudolf Haarberg, Bericht über die Grabung einer Wölbtopfanlage auf dem Gelände des ehemaligen Klosters Breitenau. Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 6, 1956, S. 257-261.
Stefan Gerlach, Brigitte Haas, Tilmman Mittelstraß, Frank Müller u. Irene Schmidt, Ein Töpferofen mit Abfallgrube des 14. Jahrhunderts in Würzburg. In: Bayerische Vorgeschichtsblätter 52, 1987, S. 133-230
Julia Hallenkamp-Lumpe, Studien zur Ofenkeramik des 12. bis 17. Jahrhunderts anhand von Bodenfunden aus Westfalen-Lippe (Denkmalpflege und Forschungen in Westfalen, Band 42). Mainz 2006; S. 20-27.
Andreas Heege, Einbeck, Negenborner Weg. Die archäologischen, pollenanalytischen, zoologischen und keramiktechnologischen Ergebnisse im Überblick. In: Andreas Heege u.a. [Hg.), Einbeck- Negenborner Weg I: Naturwissenschaftliche Studien zu einer Töpferei des 12. und frühen 13. Jahrhunderts in Niedersachsen. Keramiktechnologie, Palaeobotanik, Pollenanalyse, Archäozoologie (Studien zur Einbecker Geschicte; Bd. 12) (Oldenburg 1998), S. 7-28.
Hans-Velten Heuson, Eine Wölbtopfanlage in Büdingen-Großendorf. Büdinger Geschichtsblätter 7, 1974/75, S. 174-175.
Lutz Jansen, Hochmittelalterliche Ofenkacheln im nördlichen Rheinland. Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 29, 2001, S. 171-206.
Christof Krauskopf, Becher, Töpfe, Kacheln. Spätmittelalterlicher Töpfereiabfall aus Aulendiebach bei Büdingen, in: Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 2005, S. 253–258.
Eva Roth Heege, Hinterm Ofen ist es warm, In: Andreas Heege (Hg.), Einbeck im Mittelalter. Eine archäologisch-historische Spurensuche. Studien zur Eibecker Geschichte Bd. 17. (Oldenburg 2002), S. 211-225.
Eva Roth Heege (Hg.), Ofenkeramik und Kachelofen. Typologie, Terminologie und Rekonstruktion im deutschsprachigen Raum (Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters Bd. 39), Basel 2012, S. 225-228.
Hans-Georg Stephan, Kacheln aus dem Werraland. Die Entwicklung der Ofenkacheln vom 13. bis 17. Jahrhundert. (Schriften des Werratalvereins Witzenhausen, H. 23) (Witzenhausen 1991).
Hans-Georg Stephan, Ofenkacheln aus dem Rathaus von Höxter, in: Georg Ulrich Großmann (Hg.), Das Rathaus in Höxter (Schriften des Weserrenaissance-Museums Schloß Brake Bd. 7), München, Berlin 1994, S. 197–206.
Heinz-Joachim Vogt, Ein Topfkachelofen des 12.Jahrhunderts vom Gelände der Wiprechtsburg bei Groitzsch, Kreis Borna, in: Arbeits- und Forschungsberichte zur Sächsischen Bodendenkmalpflege 30 (1986), S. 165–178.
© Harald Rosmanitz, Partenstein 2010, überarbeitet und erweitert 2015.
- Roth Heege ordnet die hier vorgestellten Spitzkacheln sowohl den Spitzkacheln (RH, Typ3) als auch den Topfkacheln (RH Typ 4 zu (Roth Heege 2012, S. 225-228)
- Stephan 1991, 19-22; Hallenkamp-Lumpe 2006, 20-27. Lumpe spricht diese Kacheln ebenso wie Roth Heege als „Topfkacheln“ an.
- Hallenkamp-Lumpe 2006, 20f.
- Heege 1998, 23; Roth-Heege 2002, 212.
- Stephan 1991, 20.
- Zit. Stephan 1991, 19.
- Engelbach1993, 131f.; Jansen 2001, 183-185; Hallenkamp-Lumpe 2006, 24f.
- Jansen 2001, 181-192.
- Harrberg 1956, 257-261; Heuson 1974, 174f.