Eine Pilzkachel aus Breisach am Rhein

Fragment einer Pilzkachel mit glatter Oberfläche, grün glasiert, zweite Hälfte 14. Jh., H. 16,0 cm, T. 11,0 cm, Breisach, MuseumDie Pilzkachel1 aus Breisach setzt sich aus einem konisch zur Vorderseite erweiterten Tubus und einer glatten, kalottenförmigen Vorderseite zusammen. Nur die Vorderseite ist grün glasiert. Beide Teile der Kachel werden durch einen ausladenden Randwulst voneinander abgesetzt.

Jürg Tauber charakterisiert den Kacheltyp folgendermaßen: Während bei den Topf-, Becher- und Napfkacheln die Trennwand zwischen dem Feuer und dem zu beheizenden Raum gegen das Ofeninnere gekehrt ist, wird dieses Prinzip bei der Pilzkachel aufgegeben. Der Abschluß weist nun gegen außen, wobei er oft halbkugelig gewölbt ist und als Buckel aus dem Ofenkörper ragt. Wie die restlichen, auf der schnell drehenden Töpferscheibe gefertigten Kacheln besteht die Pilzkachel aus einem einzigen, in einem Arbeitsgang gefertigten Stück. Für die Herstellungstechnik kommen zwei verschiedene Verfahren in Frage. Entweder begann man mit der Kalotte, die man in eine Formschüssel eindrehte, und führte dann den Tubus aus, oder man begann mit dem Tubus und drehte anschließend die Kalotte oben zu.

Grundsätzlich lassen sich zwei Varianten von Pilzkacheln unterscheiden. Die eine, wie das hier vorgestellte Beispiele aus Breisach, weist eine glatte Kalotte auf, die lediglich mit einer Glasur und in seltenen Fällen mit einem erhöhten Mittelknauf verziert ist. Der Dekor kann aus warzenartigen Nuppen, einem Menschenkopf oder aus einer Tierdarstellung bestehen. Die zweite Variante der Pilzkachel – wie die Pilzkachel aus den Altbeständen der Museen in Büdingen und Offenburg – ist die zusammengesetzte Pilzkachel. Sie besteht aus einem modelgepreßten, nur leicht gewölbtem Vorsatzblatt und einer angarnierten, scheibengedrehten Zarge.

Die frühen Pilzkacheln mit glatter Oberfläche sind fast ausschließlich südlich des Juras verbreitet. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts kommt die Form vor allem in Bern und Zürich vor, doch finden sich auch Belege für Pilzkacheln in Basel, Breisach, Konstanz, Rötteln, Saverne und Straßburg. Eine Pilzkachel aus Neuburg am Rhein datiert ins 15. Jahrhundert. Nördlich von Straßburg dünnt die Verbreitung merklich aus. Dies steht sicher im Zusammenhang mit dem zunehmenden Einfluß der Dieburger Werkstätten mit den Halbzylinderkacheln vom Typ Tannenberg.

Die Anfänge der Pilzkacheln lassen sich nach Jürg Tauber ins späte 13. Jahrhundert zurückverfolgen. Die frühesten bekannten und datierbaren Belege für Pilzkacheln sind alle unglasiert und stammen von der Frohburg, Altbüron und Maschwanden. Altbüron und Maschwanden wurden beim Blutrachefeldzug von 1309 zerstört. In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts dominierten glasierte Pilzkacheln. In der Frühzeit fehlt die Engobe unter der Glasur. Um 1350 ist die glasierte Pilzkachel in ihrer entwickelten Form häufig belegt. Pilzkacheln lassen sich bis gegen 1400 in erster Linie in der Nordschweiz mit Schwerpunkt Zürich nachweisen. Mit dem Aufkommen der flächendeckend die Ofenwandung besetzenden quadratischen Blatt-, Nischen- und Napfkacheln verschwand die Form zusehends. Ein sehr später Ausläufer ist eine Pilzkachel aus dem Werkstattbruch in Neuburg/Rhein aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Die Breisacher Pilzkachel kann in Anlehnung an die Zeitstellung der Berner und Züricher Pilzkacheln in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts datiert werden.

Der Einbau von Pilzkacheln läßt sich durch ein Fresko aus dem »Haus zum langen Keller« am Rindermarkt in Zürich (vor 1308), auf den Webfresken im »Haus zur Kunkel« in Konstanz und auf der Züricher Wappenrolle (Anfang 14. Jahrhundert) belegen. Die Lehmwände solcher kuppel- oder bienenkorbförmigen Öfen waren mit Becher- und Pilzkacheln besetzt. Volkskundliche Belege weisen darauf hin, daß die Pilzkacheln in den oberen Teil des Ofens eingebaut waren. Sie ragten mit der kalottenförmigen Vorderseite aus der Lehmwandung hinaus. Eine röhrenförmige Zarge verankerte die Kachel im Ofen. Ihre Mündung war direkt dem Feuer ausgesetzt. Bei der Breisacher Pilzkachel handelt es sich um einen Einzelfund. Man kann jedoch aufgrund der Grundform und der Zeitstellung davon ausgehen, daß die Kachel zusammen mit Becherkacheln in einem Ofen eingebaut war.


Fragment einer Pilzkachel mit glatter Oberfläche, grün glasiert, 2. Hälfte 14. Jh., H. 16,0 cm, T. 11,0 cm, Breisach, Museum
Fragment einer Pilzkachel mit glatter Oberfläche
grün glasiert, zweite Hälfte 14. Jh., H. 16,0 cm, T. 11,0 cm

Breisach, Museum
Fragment einer Pilzkachel mit glatter Oberfläche, grün glasiert, 2. Hälfte 14. Jh., H. 16,0 cm, T. 11,0 cm, Breisach, Museum
Fragment einer Pilzkachel mit glatter Oberfläche, grün glasiert, 2. Hälfte 14. Jh., H. 17,0 cm, T. 14,0 cm, Lörrach, Museum am Burghof, urspr. Burg Rötteln
Fragment einer Pilzkachel mit glatter Oberfläche
grün glasiert, zweite Hälfte 14. Jh., H. 17,0 cm, T. 14,0 cm

Lörrach, Museum am Burghof, urspr. Burg Rötteln
Fragment einer Pilzkachel mit glatter Oberfläche, grün glasiert, 2. Hälfte 14. Jh., H. 17,0 cm, T. 14,0 cm, Lörrach, Museum am Burghof, urspr. Burg Rötteln
Fragment einer Pilzkachel mit glatter Oberfläche, grün glasiert, Mitte 15. Jh., H. 20,0 cm, T. 16,5cm, Rastatt, Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg, Zentrales Fundarchiv, urspr. Neuenburg am Rhein, Rathaus
Fragment einer Pilzkachel mit glatter Oberfläche
grün glasiert, Mitte 15. Jh., H. 20,0 cm, T. 16,5 cm

Rastatt, Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg, Zentrales Fundarchiv, urspr. Neuenburg am Rhein, Rathaus
Fragment einer Pilzkachel mit glatter Oberfläche, grün glasiert, Mitte 15. Jh., H. 20,0 cm, T. 16,5cm, Rastatt, Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg, Zentrales Fundarchiv, urspr. Neuenburg am Rhein, Rathaus
Fragment einer Pilzkachel mit glatter Oberfläche, grün glasiert, 1. Hälfte 14. Jh., H. 15,0 cm, T. 12,0 cm, Saverne, Musée de Saverne
Fragment einer Pilzkachel mit glatter Oberfläche
grün glasiert, erste Hälfte 14. Jh., H. 15,0 cm, T. 12,0 cm

Saverne, Musée de Saverne
Fragment einer Pilzkachel mit glatter Oberfläche, grün glasiert, 1. Hälfte 14. Jh., H. 15,0 cm, T. 12,0 cm, Saverne, Musée de Saverne
Fragment einer Pilzkachel mit glatter Oberfläche, grün glasiert, 2. Hälfte 14. Jh., H. 5,4 cm, T. 4,0 cm, Emmendingen, Hochburg
Fragment einer Pilzkachel mit glatter Oberfläche
grün glasiert, zweite Hälfte 14. Jh., H. 5,4 cm, T. 4,0 cm

Emmendingen, Hochburg
Fragment einer Pilzkachel mit glatter Oberfläche, grün glasiert, 2. Hälfte 14. Jh., H. 5,4 cm, T. 4,0 cm, Emmendingen, Hochburg
Fragment einer Pilzkachel mit Rosette, grün glasiert, 1. Hälfte 15. Jh., H. 17,0 cm, Offenburg, Museum im Ritterhaus
Fragment einer Pilzkachel mit Rosette
grün glasiert, erste Hälfte 15. Jh., H. 17,0 cm

Offenburg, Museum im Ritterhaus
Fragment einer Pilzkachel mit Rosette, grün glasiert, 1. Hälfte 15. Jh., H. 17,0 cm, Offenburg, Museum im Ritterhaus
Fragment einer Pilzkachel mit dem Gesicht eines jungen Mannes, braun glasiert, um 1400, H. 8,1 cm, T. 7,5 cm, Büdingen, Heuson-Museum
Fragment einer Pilzkachel mit dem Gesicht eines jungen Mannes
gelb glasiert, um 1400, H. 8,1 cm, T. 7,5 cm

Büdingen, Heuson-Museum
Fragment einer Pilzkachel mit dem Gesicht eines jungen Mannes, braun glasiert, um 1400, H. 8,1 cm, T. 7,5 cm, Büdingen, Heuson-Museum

Weiterführende Literatur:

Sune Ambrosiani, Zur Typologie der älteren Kacheln, Stockholm 1910, S. 48-49, Fig. 62-65;
Rosemarie Franz, Der Kachelofen. Entstehung und kunstgeschichtliche Entwicklung vom Mittelalter bis zum Ausgang des Klassizismus, 2. verbesserte und vermehrte Auflage, Graz 1981, S. 34-35, Abb. 21-24.Daniel Grütter, Die Funde, in: Thomas Bitterli, Daniel Grütter (Hg.), Alt-Wädenswil. Von Freiherrenturm zur Ordensburg (Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters Bd. 27), Basel 2001, S. 65–148, , bes. S. 71f.
Andreas Heege, Dekortechniken auf Ofenkeramik, in: Eva Roth Heege (Hg.), Ofenkeramik und Kachelofen. Typologie, Terminologie und Rekonstruktion im deutschsprachigen Raum (Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters Bd. 39), Basel 2012, S. 68–99.
Gullaume Huot-Marchand, La céramique de de poêle en Lorraine, au Moyen Age et au début de l´Epoque Moderne (Haroué 2006), S. 66f.
Annamaria Matter u. Werner Wild, Neue Erkenntnisse zum Aussehen von Kachelöfen des 13. und frühen 14. Jahrhunderts. Befunde und Funde aus dem Kanton Zürich, in: Nachrichten des Schweizerischen Burgenvereins 2 (1997), S. 77–95.
Jean-Paul Minne, La céramique de poêle de l’Alsace médiévale, Strasbourg 1977, S. 115, Kat. Nr. 15;
Eva Roth Heege, Andreas Heege, Christa Meiborg, Ofenlehm und Napfkacheln. Ein ungewöhnlicher Kachelofen des 15. Jahrhunderts aus dem Marburger Schloß, in: Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 31 (2003), S. 094–114.
Eva Roth Heege (Hg.), Ofenkeramik und Kachelofen. Typologie, Terminologie und Rekonstruktion im deutschsprachigen Raum (Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters Bd. 39), Basel 2012, S. 221-224, S. 268.
Eva Roth Kaufmann, René Buschor u. Daniel Gutscher, Spätmittelalterliche reliefierte Ofenkeramik in Bern. Herstellung und Motive, Bern 1994, S. 35.
Rudolf Schnyder, Mittelalterliche Ofenkeramik, Zürich 2011.
Sophie Stelzle-Hüglin, Wohnkultur auf Burg Rötteln. Ofenkeramik aus Gotik und Renaissance., in: Badische Heimat (2002), S. 637–647.
Hans-Georg Stephan, Kacheln aus dem Werraland. Die Entwicklung der Ofenkacheln vom 13. bis 17. Jahrhundert im unteren Werra-Raum (Schriften des Werratalvereins Witzenhausen 23), Witzenhausen 1991, S. 28-33.
Jürg Tauber, Herd und Ofen im Mittelalter. Untersuchungen zur Kulturgeschichte am archäologischen Material vornehmlich der Nordwestschweiz (9.-14. Jahrhundert) (Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters 7), Olten/Freiburg i. Br. 1980, bes. 15, S. 317, S. 321-322.
Gabriele Weber-Jenisch, Die Kachelentwicklung vom 13. bis 19. Jahrhundert, in: Gabriele Weber-Jenisch, Peter Hering (Hg.), Führer durch die Dauerausstellung, Breisach am Rhein 11993, S. 78–79.
Peter Ziegler, Die Ofenkeramik der Burg Wädenswil, Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft Zürich 43/3, Zürich 1968, S. 41-42, Kat. Nr. 1.


© Harald Rosmanitz, Partenstein 2010, überarbeitet und erweitert 2015.

  1. Roth Heege unterteilt die Pilzkacheln in einfache Pilzkacheln (RH Typ 2) und in zusammengesetzte Pilzkacheln (Typ 10.1.3). Bei letztgenannten sind die Ansischtsseiten mit einem Relief besetzt (RothHewege 2012, S. 221-224, S. 268).