Der Renaissance zuzuweisen sind Fragmente von Blattkacheln mit glatten, nischenförmig einziehenden Bildfeldern.1 Sie stammen in der Mehrzahl aus Nürnberg. Im Gegensatz zu den meisten in der Sektion „Motive“ vorgestellten Stücken nimmt sich die auf einfache Grundformen reduzierte Bildsprache der grün glasierten Ofenkeramiken extrem bescheiden aus. Wird das Ganze jedoch in den übergeordneten Kontext eines Ofens gestellt, so war dieser für die Ausstattung einer Wohnstube des 16. Jahrhunderts durchaus angemessen. Eine recht genaue Vorstellung von einer solchen Raumheizung gibt eine bald nach 1513 entstandene Zeichnung in den Hausbüchern der Nürnberger Zwölfbrüderstiftung.2 Sie zeigt den Hausdiener Pauly Mauser. Er fegt mit einem Reisigbesen die hölzernen Dielen einer Stube, in dessen Ecke ein grün glasierter Kachelofen steht. Der etwa mannshohe, zweiteilige Ofenkörper gliedert sich in einen kubischen Feuerkasten und einen zylindrischen Oberofen. Der Ofen sitzt nicht auf dem Fußboden auf. Im Dielenboden verankerte, eiserne Stützen schaffen einen offenen Raum unter dem Heizkörper. Damit kann die dort anfallende Strahlungswärme ebenfalls in das Zimmer abgegeben werden. Der in seinem Unterbau kubische und in seinem Oberteil zylindrische Ofen stößt fast an der Decke der niedrigen Stube an. Neben den Blattkacheln mit glatten Nischen kommen Gesimskacheln zum Einsatz. Sie gliedern den Ofenkörper in seiner vertikalen Erstreckung. Das Ganze ist von einem zinnenbesetzten Gesims nach oben abgeschlossen. Heiztechnisch auf einen kleinen Innenraum optimiert wirkt der Kachelofen ähnlich wie jenem mit flächendeckendem Napfkachelbesatz auf den ersten Blick sehr schlicht. Als Dekor sind neben der als Zinnenkranz gearbeiteten Ofenbekrönung die rot ausgemalten Fugen zwischen den einzelnen Kacheln zu benennen. Ebenfalls in den Bereich der Verzierung fällt das sich ständig wechselnde Lichtspiel in den glasierten, nischenförmigen Einbuchtungen. Insbesondere bei flackerndem Kerzenschein dürfte die Ofenoberfläche eine reizvolle Lebendigkeit entwickelt haben.
Das 3D-Modell der Nischenkachel mit glattem Feld
Die Suche nach dem Aussehen von Kachelöfen endet keinesfalls mit der Analyse zeitgenössischer, bildlicher Darstellungen. Vielmehr schufen Hafner für den Endverbraucher kleine Ofenmodelle, anhand derer sich der Kunde eine Vorstellung vom endgültigen Aussehen seiner Raumheizung machen konnte.3 Allen renaissancezeitlichen Ofenmodellen gemeinsam ist die Grundform des zweiteiligen, schlanken Ofens mit von der Wand leicht abgesetztem, freistehendem und an allen vier Seiten mit Ofenkacheln besetztem Oberofen. Die in der Rückwand verankerte Grundplatte ruht im Bereich der Stirnseite auf zwei niedrigen Füßen. Der Feuerkasten ist, wie auch der Oberofen, kleinteilig mit Kacheln besetzt. Beide Teile sind als in sich geschlossene, architektonische Einheiten gebildet. Zwischen einem leicht auskragenden Sockelgesims und einem ebenfalls auskragenden, oberen Abschlussgesims bleibt ausreichend Raum für ein mehrzeiliges Bildprogramm.
Das gehäufte Vorkommen von Blattkacheln mit glatten Nischen in Nürnberg kann als Indiz dafür gewertet werden, dass dieser Kacheltypus in der Handelsmetropole an der Pegnitz entwickelt wurde. Die leicht zu fertigenden Kacheln dürften in ihrer Herstellung nicht allzu teuer gewesen sein. Damit ließ sich bei minimalen Anschaffungs- und Wartungskosten ein passabel repräsentativer Heizkörper in den Hausstand integrieren. Dies trug maßgeblich zur Beliebtheit der Form weit über die Region hinaus bei. Zahlreiche Kachelöfen wurden ab 1500 für annähernd ein Jahrhundert mit Blattkacheln mit glatten, nischenförmig einziehenden Bildfeldern bestückt. Noch langlebiger und weiter verbreitet waren lediglich aus scheibengedrehten Napfkacheln aufgesetzte Öfen. Beiden Kachelformen gemeinsam ist der mit ihnen additiv aufbaubare, schlicht gegliederte Ofenkörper mit stabiler Außenhülle. Hatte sich ein solcher Ofentyp bei den strengen Feuerschauen in den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Innenstädten erst einmal bewährt, so stand seiner Entwicklung zum lange rezipierten Archetyp nichts mehr im Wege. Nach Ausweis der archäologischen Quellen fällt zudem auf, dass sich Öfen dieser Art in erster Linie Haushalten von Handwerkern und Veraltungsbeamten zuweisen lasse. Demnach waren sie im Großen und Ganzen beim damaligen Mittelstand in Nutzung. Mit den Nürnberger Stücken übereinstimmende, nischenförmige Blattkacheln fanden sich unter anderem auch in Südthüringen, so in Hildburghausen, Meiningen, Römhild, Schalkau-Sonneberg, Schmalkalden sowie auf der Veste Heldburg. Allen südthüringischen Vertretenen dieser Motivgruppe ist die dreifach getreppte und mit glatten Halbstäben und Kehlen besetzte Rahmenleiste gemeinsam.
Sicher standen in Nürnberg zu jener Zeit auch deutlich prächtigere Öfen. Sie griffen in ihrem Bildprogramm humanistisches Gedankengut auf. Paradebeispiel hierfür sind die auf die Nürnberger Burg transferierten Öfen sowie der aus zwei Öfen zusammengebaute Ofen im Hornzimmer der Veste Coburg.4 Die Plazierung eines Ofens mit 08/15 Kacheln im Pfarrhof von St. Sebald zeigt jedoch mit aller Deutlichkeit, dass auch Repräsentationsräume, die höchsten Erwartungen gerecht werden mussten, mit den hier vorgestellten Kacheln besetzt sein konnten.
Harald Rosmanitz, Partenstein 2014, überarbeitet und erweitert 2020 und 2022
Weiterführende Literatur:
Bahnsen, Hellmut und Rita; Carow, Sigrid; Herschlein, Peter M. (2017): Schätze aus dem Watt. Die Ofenkacheln aus dem Pellwormer Wattenmeer, Husum.
Frommer, Sören (2017): Gammertingen, St. Michael. Auswertung der archäologischen Ausgrabungen insbesondere unter herrschafts-, siedlungs- und landesgeschichtlicher Fragestellung (Forschungen und Berichte der Archäologie in Baden-Württemberg 4), Wiesbaden.
Hoffmann, Yves (1992): Ofenkacheln vom 15. bis 17. Jahrhundert. In: Wolfgang Schwabenicky (Hg.): Das Sattlersche Haus – die sogenannte Kaserne. Ein hervorragendes Beispiel bürgerlicher Kultur in Mittweida (Veröffentlichungen der Kreisarbeitsstelle für Bodendenkmalpflege Mittweida 2), Mittweida, S. 59–76.
Lippert, Inge (2016): Keramikfunde aus Schweinfurt. Ofenkacheln und Model des 15. bis 17. Jahrhunderts. In: Naturwissenschaftliches Jahrbuch Schweinfurt 28, S. 1–121.
Rosmanitz, Harald (2011): Vom Fragment zum Kachelofen. Die Stecknadel im Heuhaufen. In: Georg Ulrich Großmann (Hg.): Heiß diskutiert – Kachelöfen. Geschichte, Technologie, Restaurierung (Veröffentlichung des Instituts für Kunsttechnik und Konservierung im Germanischen Nationalmuseum 9), Nürnberg, S. 13–31.
Rosmanitz, Harald (2012): Zur Frage der Aussagekraft von Ofenmodellen für die Rekonstruktion neuzeitlicher Kachelöfen. In: Eva Roth Heege (Hg.): Ofenkeramik und Kachelofen. Typologie, Terminologie und Rekonstruktion im deutschsprachigen Raum (Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters 39), Basel, S. 168–171.
Rosmanitz, Harald (2013a): Evangelisten, Sphärenkugel und Maßwerk. Ein Kachelofen en miniature aus dem Bereich der Alten Markthalle in Ettlingen. In: Harald Siebenmorgen (Hg.): Blick nach Westen. Keramik in Baden und im Elsass, Karlsruhe, S. 325–330.
Rosmanitz, Harald (2013b): Wohlige Wärme in der Residenzstadt. Meininger Kachelgeschichte(n). In: Mathias Seidel (Hg.): Spiegel des Alltags. Archäologische Funde des Mittelalters und der frühen Neuzeit aus Meiningen, Meiningen, S. 57–71.
Rosmanitz, Harald (2022a): Reliefierte Ofenkacheln des Spätmittelalters und der Neuzeit aus dem Spessart im Spannungsfeld von Motivgeber, Handwerker und Verbraucher. Möglichkeiten und Grenzen einer induktiven Kontextualisierung. (masch. Diss), Partenstein.
Rosmanitz, Harald (2022b): Zwischen Masse und Klasse. Die „Nürnberger Standardkacheln“ der Renaissance. In: Georg Döhner; Lutz Grunwald (Hg.): Keramik in Berlin, Brandenburg und Europa. Produktion, Innovation, Handel und Handelsgeschichte, Berlin, S. 240–251.
Wegner, Martina (2011): Ein renaissancezeitlicher Kachelkomplex aus Stralsund. Rekonstruktionsansatz der Kachelserien. In: Bodendenkmalpflege in Mecklenburg-Vorpommern 59, S. 199–249.
- Rosmanitz 2013b; Rosmanitz 2022a, S. 165-177; Rosmanitz 2022b. Dazu auch: Bahnsen et al. 2017, S. 73-74, Kat.-Nr. 106-107; Frommer 2017, S. 46-47, Taf. 11.1-2; Hoffmann 1992, S. 63, Abb. 36, Kat.-Nr. K 9; Lippert 2016, S. 60-61, Kat.-Nr. 13; Wegner 2011, S. 234, Abb. 19.7
- Kolorierte Zeichnung aus den Hausbüchern der Nürnberger Zwölfbrüderstiftung, Landauer I, Stadtbibliothek Nürnberg, Amb. 279.2 Folio 10 verso
- Rosmanitz 2012; Rosmanitz 2013a
- Rosmanitz 2011, S. 17-18