Ein Motiv der Ofenkachelkunst, das immer wieder auffällt und dessen sich daher zahlreiche Bearbeiter angenommen haben, ist die Verkörperung des Zornes aus einer Serie der Untugenden. Schon die Thematik fällt aus dem Rahmen. Eine sehr gute Vorstellung von dem Bildaufbau einer solchen Kachel gibt ein Stück aus Bretten. Die Kachel hatte ursprünglich eine graphitierte Oberfläche. Stellenweise erkennt man noch einen schwarzen, glänzenden Auftrag, der ursprünglich die gesamte Bildoberfläche überzog. Er besteht aus Graphitstaub, vermengt mit Lehm, der auf die Kachel aufgebürstet wurde und ihr eine schwärzlich schimmernde Oberfläche verleiht. Als Grundierung benutzte man eine dünne Lehmschicht. Im Gegensatz zur dicken Glasur erkennt man auch nach der Graphitierung die Feinzeichnung des Binnenreliefs noch verhältnismäßig gut. Der für Südwestdeutschland typische Graphitauftrag diente in erster Linie zur Angleichung der Keramikoberfläche an die geschwärzten Platten eines Ofens mit eisernem Unterbau (Kombinationsofen).
Das Kachelrelief zeigt in einer schlichten Arkade mit schuppenbesetzter Bogenlaibung, geflügeltem Puttenkopf im Bogenscheitel sowie weinrankenbesetzten Zwickeln eine nach rechts schreitende Gestalt. Über dem knöchelhohen Kleid trägt sie einen Brustpanzer. Weitere Rüstungsteile sind der drachengeschmückte Helm und ein Schild, der auf seiner Vorderseite anstelle eines Schildbuckels einen Kopf trägt. Anstelle von Haaren ist das zu einer Fratze verzerrte Gesicht auf dem Schild von Schlangen gerahmt. Bei dem Schild handelt es sich um die Ägis, der für Jupiter geschaffene Schild mit dem versteinerten Haupt der Medusa. Es weist seine Trägerin als Göttin Minerva aus. Sie hält in ihrer Rechten ein gezogenes Schwert. Es zeigt mit seiner Spitze in Schrittrichtung und betont die Entschlossenheit zum Kampf. Zu Füßen der Göttin erblickt man einen Bären. Die Sockelinschrift IRA ermöglicht die Ansprache der Gestalt als Verkörperung des Zorns.
Die Ziffer 4 auf Kopfhöhe betont die Zugehörigkeit der Darstellung zu einer Serie, in diesem Fall zur Serie der Todsünden. Sie setzt sich aus den Verkörperungen von Völlerei [Unmäßigkeit], Wollust [Unkeuschheit], Habsucht [Geiz], Neid, Zorn, Trägheit und Stolz zusammen. Wie in der kirchlichen Kunst bildet die Serie der Todsünden ein Gegenstück zur Serie der Tugenden. Dem Zorn kann als positive Eigenschaft die Geduld gegenübergestellt werden. Die Bilderfolge entspricht der ebenfalls aus dem Kirchlichen entlehnten und auf Kachelreliefs übernommenen Serie der klugen und törichten Jungfrauen.
Der Bär zu Füßen der Göttin bezieht sich ausschließlich auf die hervorgehobene negative Eigenschaft der Frau. Die Gefährlichkeit des Tieres ist besonders groß, wenn seine Jungen bedroht werden. Seine alttestamentarisch belegte Unberechenbarkeit macht ihn zu einer Verkörperung des Bösen. Zu dem Brettener Relief lassen sich mehrere Vergleichsstücke von der Burg Dragstuhl, sowie in den Museen in Freiburg i. Br., Marburg, Mettlach, München, Schlüchtern, Schwäbisch Hall und Würzburg anführen, die in unterschiedliche Rahmenarchitekturen eingestellt sind.1 Eine Ira-Kachel in Metz stimmt mit dem vorliegenden Stück auch im Rahmen überein.2
Graphische Vorlage der Laster
Das Motiv der Allegorie des Zorns auf einer Kachel in Schwäbisch Gmünd zeigt ebenfalls die Göttin mit Bären, doch wirkt diese Darstellung in der Gesamtkomposition bewegter. Hinzu kommt die geschwungene Körperhaltung der Figur. Die unterschiedlichen Ausführungen des Motivs lassen darauf schließen, dass es für das Bildthema mehrere Vorlagen gegeben haben muss, nach denen unterschiedlich gebildete Reliefs geschaffen wurden. Als graphische Vorlage hierfür lässt sich eine Kupferstichfolge verorten, die der ebenfalls in Antwerpen tätige Jacob Matham nach Hendrick Goltzius fertigte.
Motive der Serie der Laster
Die Ausbildung von Personifikationen zur Versinnbildlichung der Todsünden bzw. Laster kann zu Beginn des 14. Jahrhunderts mit den Predigten der Bettelorden in einen direkten Zusammenhang gebracht werden. Bald schon fanden die Todsünden, verkörpert von Frauen ihren Niederschlag auf bedeutenden Werken der bildenden Kunst wie in dem von Giotto geschaffenen Freskenzyklus der Arenakapelle zu Padua (1304-1313). Die zwischen 1337 und 1340 entstandenen Personifikationen der Todsünden von Lorenzetti im Palazzo Publico in Siena verstehen sich als Allegorien schlechter Charakterzüge und bilden den Archetyp der vorliegenden Darstellung. Die Mehrschichtigkeit der Bedeutung inspirierte die Autoren von Emblembüchern am Ende des 16. Jahrhunderts. Dabei stellen uns die Künstler vor eine verwirrende Fülle von allegorischen Motiven und geben Spielraum für nahezu unbegrenzte Wandlungen und Varianten. Kupferstecher in Antwerpen und Haarlem wie Henrick Gotzius, Jacob Matham oder Crispin de Passe griffen diese Anregungen dankbar auf und schufen graphische Vorlagen im Stil der Spätrenaissance.
Inzwischen konnte als Vorlage für die Kachelfolge eine um 1600 gefertigte Kupferstichfolge von Crispin de Passe d. Ä. (ca. 1565-1637) nach Zeichnungen von Maarten de Vos (1532-1603) identifiziert werden. In FurnArch sind inzwischen 27 Model und Kacheln aus der Serie erfasst (Stand: Juni 2020), die nach den Vorlagen dieses flämischen Manieristen gearbeitet wurden. Hinzu kommen neun aus der Sekundärliteratur erschließbaren Vergleichsstücke. Die Serie war im östlich anschließenden Schwaben und in Hohenlohe verbreitet. Nach Westen sind Streuungen bis ins Saarland (Burg Dagstuhl) zu beobachten. Die Nordgrenze der Verbreitung von Kachelreliefs mit Untugenden nach Maarten de Vos bildet, mit Ausnahme einer aus Südhessen stammenden Kachel im Universitätsmuseum Marburg, die Nordgrenze des ehemaligen Erzbistums Mainz.
Ofenkacheln der Serie der Laster mit der Darstellung des Zorns
Weiterführende Literatur:
Ludwig Döry, Künstlerische Innovation im 17. Jahrhundert. Die Ofenkacheln der Burg Birkenfeld, in: Mitteilungen des Vereins für Heimatkunde im Kandkreis Birkenfeld und der Heimatfreunde Oberstein e. V. (2004), S. 57–86.
Bernard Goetz, Montbéliard (Doubs). Les céramiques de poêle de la cour nord du château, 1629-1632, in: Corinne Goy, Sylviane Humbert (Hg.), Ex pots … Céramiques médiévales et modernes en Franche-Comté, Montbéliard 1995, S. 182–201.
Ana-Maria Gruia, Bears on late medieval stove tiles, in: Acta Musei Napocensis 48 (2011), S. 149–164.
Monika Joggerst, Ofenkacheln, in: Harald Siebenmorgen (Hg.), Leonhard Kern (1588-1662). Meisterwerke der Bildhauerei für die Kunstkammern Europas. [Hällisch-Fränkisches Museum Schwäbisch Hall, 22. Oktober 1988 bis 15. Januar 1989] (Kataloge des Hällisch-Fränkischen Museums Schwäbisch Hall Bd. 2), Sigmaringen 1988, S. 113–118.
Jean-Paul Minne, La céramique de poêle de l’Alsace médiévale, Strasbourg 1977.
Nathalie Pascarel, Julien Trapp, Les carreaux de poêle, in: Historise et images medievales (2013), S. 39–40.
Konrad Strauss, Die Töpferkunst in Hessen, (Studien zur deutschen Kunstgeschichte) Straßburg 1925.
Dieter Vollmann, Ofenkeramik des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit von der Burg Dagstuhl im Saarland, in: Archaeologia Mosellana 8 (2012), S. 173-174.
© Harald Rosmanitz, Partenstein 2005; überarbeitet und erweitert 2020