Motive: Architekturzitate Nürnberger Art

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Aus der Armenhausgasse 11 in Augsburg stammt ein grün glasiertes Kachelfragment mit architektonischem Besatz.1 Das Bildfeld der 13,3 cm hohen und 16,2 cm breiten Ofenkeramik kann über ähnlich ausgebildete Fundstücke vom Unteren Tor in Volkach2 sowie aus der Burg in Wertheim vervollständigt werden.3

Blattkachel mit Architekturzitaten
grün glasiert; ca. 1550; H. 13,1 cm, Br. 16,2 cm;

Augsburg, Stadtarchäologie (Inv.-Nr. 2005,0735), urspr. Augsburg, Armenhausgasse 11
Blattkachel mit Architekturzitaten
grün glasiert; 16. Jh.; H. 11,4 cm, Br. 8,3 cm;

Volkach, Sammlung Karl Schneider, urspr. Volkach, Unteres Tor
Blattkachel mit Architekturzitaten
unglasiert; 16. Jh.; H. 10,7 cm, Br. 10,0 cm;

Wertheim, Grafschaftsmuseum, urspr. Wertheim, Schloss

 

Nürnberg als Impulsgeber

Idealrekonstruktion einer Blattkachel mit Architekturzitaten Nürnberger ArtDer künstlerische Ausgangspunkt hierfür ist, ebenso wie beim „Nürnberger“ Ofen,4 in der fränkischen Reichsstadt an der Pegnitz zu suchen. Darauf wiesen zwei Nestoren der Kachelforschung, Max Wingenroth und Rosemarie Franz, hin.5 Einen Eindruck von der Bandbreite der daraus entwickelten Eigenschöpfungen vermittelt eine repräsentative Auswahl der in FurnArch zusammengetragenen Fragmente der Motivgruppe.6 Je dichter die Fundpunkte bei Nürnberg liegen, desto mehr lehnen sie sich an die dort zu verortende Gestaltung an. Als Beispiele hierfür sei auf die Kachelfragmente vom Schloss in Grundlach, von der Alten Hofhaltung in Bamberg und vom Rathaus in Volkach verwiesen. In allen drei Fällen waren neben grün glasierten auch polychrom glasierte Kachelreliefs in Öfen integriert. Modelgleiche Kacheln aus dem bei Berlin gelegenen Jagdschloß Grunewald7 lassen vermuten, daß die Nürnberger Produkte in Ausnahmefällen vor ihrer Aufstellung über weite Wegstrecken hinweg transportiert wurden. Zweifellos gilt das auch für das Kachelensemble der Casa de Aguirrebeña im baskischen Bergara.8 Die darin enthaltenen Kacheln mit Architekturzitaten Nürnberger Art9 wurden in Nürnberg oder im direkten Umfeld der ehemaligen Reichsstadt gefertigt. Der gut erforschte spanische Fundkomplex kann dazu beitragen, jene Lücke in der Motivtradierung zu schließen, die sich mit dem Fehlen entsprechender Kacheln aus archäologischem Kontext in Nürnberg aufgetan hat.

 

Es sind sich vier Haupttypen von Kacheln mit Architekturzitaten zu unterscheiden:

  • Architekturzitate Nürnberger Art weisen einen bühnenartigen Aufbau mit sehr kleinem Innenfeld auf. Die Seitenwangen der rahmenden Arkade greifen dabei weit in Richtung der Bildmitte aus.
  • Architekturzitate Zwickauer Art sind einfacher ausgebildet. Ihr Hauptcharakteristikum ist die nach innen geöffnete, eisenbeschlagene Tür im Innenfeld.
  • Die schlichteste, allerding keineswegs unelegante Variante, die Augsburger Art, beruht auf dem fast vollständigen Verzicht auf Beiwerk.
  • Architekturzitate Speyrer Art warten mit einer laubenartigen Architektur auf, die über dem Bogenscheitel mit einem nach unten weisendem Blütenkelch besetzt ist.

 

Die letztgenannte Variante trägt ihre Bezeichnung in Anlehnung an ihren Fundort, den Modelfund von der Großen Greifengasse in Speyer.10 Es dominiert eine wuchtige Doppelarkade mit akanthusblattbesetzter Bogenlaibung. Sie trägt ein auf Säulen und Pfeilern fußendes, laubenartiges Architekturgehäuse. Die Bildkomposition ist über dem Bogenscheitel mit einem nach unten weisenden Blütenkelch besetzt. Dieser wird wiederum beidseitig von lorbeerblattbesetzten Festons flankiert. Vergleichsstücke in Karlsruhe Durlach11 und Ettlingen12 deuten eine Nutzung dieser Spielart des Dekors am nördlichen Oberrhein an.


Blattkacheln mit Architekturzitaten

Blattkachel mit Architekturzitaten mit geripptem Kuppelraum mit Themenfenstern und Okuli in den Zwickeln
grün glasiert; Ende 16. Jh.; H. 28,0 cm, Br. 27,5 cm;

Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum (Inv.-Nr. A 0532)
Blattkachel mit Architekturzitaten mit geripptem Kuppelraum mit Themenfenstern und Okuli in den Zwickeln
grün glasiert; 16. Jh.; H. 22,6 cm, Br. 9,4 cm;

Nürnberg, Stadtarchäologie, urspr. Großgrundlach, Schloß, ehem. Torwächterhaus, Bef. 4/2007
Blattkachel mit Architekturzitaten mit geripptem Kuppelraum mit Themenfenstern und Okuli in den Zwickeln
grün glasiert; 16. Jh.; H. 22,3 cm, Br. 18,5 cm;

Volkach, Sammlung Karl Schneider, urspr. Volkach, Rathaus (1993)
Über Eck geführte Blattkachel mit Architekturzitaten
polychrom glasiert; 16. Jh.; H. 24,5 cm, Br. 26,3 cm;

Bamberg, Historisches Museum (18/347/K 290), urspr. Bamberg (?)
Blattkachel mit Architekturzitaten mit Blick in einen an allen Seiten gleichmäßig umbauten Innenhof
grün glasiert; 16. Jh.; H. 15,3 cm, Br. 17,5 cm;

Volkach, Sammlung Karl Schneider, urspr. Volkach, Rathaus (1993)
Blattkachel mit Architekturzitaten
dunkelbraun glasiert; 17. Jh.; H. 12,5 cm, Br. 18,6 cm;

Schlüchtern, Bergwinkelmuseum (Leihgabe) (Inv.-Nr. A 1985/34-5), urspr. Schlüchtern, Kloster
Über Eck geführte Blattkachel mit Architekturzitaten
graphitiert; 2. Hälfte 16. Jh.; H. 19,9 cm, Br. 19,4 cm;

Kirchheim/Teck, Städtisches Museum im Kornhaus, urspr. Kirchheim/Teck, Dreikönigsstraße 9a
Blattkachel mit Architekturzitaten
grün glasiert; 16. Jh.; H. 24,8 cm, Br. 16,7 cm;

Partenstein, Museum Ahler Kram (Burg Bartenstein, Fd.-Nr. 1316), urspr. Partenstein, Burg Bartenstein
Über Eck geführte Blattkachel mit Architekturzitaten
grün glasiert; zweites Drittel 16. Jh.; H. 21,4 cm, Br. 21,4 cm;

Ingolstadt, Stadtmuseum (A 07648/018/1), urspr. Ingolstadt, Neues Schloss
Model einer Blattkachel mit Architekturzitaten Speyrer Art
unglasiert; 2. Drittel 16. Jh.; H. 26,2 cm, Br. 12,1 cm;

Speyer, Historisches Museum der Pfalz (Inv.-Nr. 00056 q), urspr. Speyer, Greifengasse

 

Verbreitung der Kacheln mit Architekturzizaten. Karte: Sabrina Bachmann, HeimbuchenthalIm zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts waren Kacheln mit Architekturzitaten im gesamten Mitteleuropa verbreitet. Die Varianten bilden dabei Regionalgruppen aus, die im Falle der Augsburger Variante auch weit streuen können. Für die Verbreitung dürften neben der Töpferei in der Großen Greifengasse in Speyer13 zahlreiche weitere Töpfereien einen nicht unwesentlichen Beitrag geleistet haben. In diesem Zusammenhang ist auf die Werkstatt des in Zwickau ansässigen Hans Elsässer14 ebenso zu verweisen wie auf entsprechende Hinterlassenschaften von Töpfern im Bereich des Wilhelm-Leuschner-Platz in Leipzig15 oder in Straubing.16 Der Modelfund aus der Fischergrube in Lübeck belegt die Fertigung von Kacheln mit Architekturzitaten in Norddeutschland.17

 

Harald Rosmanitz, Partenstein 2022


Weiterführende Literatur:

Endres, Werner (Hg.) (2005): Straubinger Renaissancekeramik (Katalog des Gäubodenmuseums Straubing 30), Straubing.

Franz, Rosemarie (1981): Der Kachelofen. Entstehung und kunstgeschichtliche Entwicklung vom Mittelalter bis zum Ausgang des Klassizismus, 2. verb. u. verm. Aufl., Graz.

Gehrke, Wolfgang (1992): Alltagsleben und Magie im Spiegel der Bodenfunde. In: Regina Hanemann; Jürgen Julier (Hg.): 450 Jahre Jagdschloss Grunewald. 1542-1992, Berlin, S. 86–95.

Hoffmann, Yves (2009): Ein Fund spätgotischer Ofenkacheln aus Mittweida. In: Sächsische Heimatblätter 55, S. 241–246.

Perla, Antonio (1998): Historia de una estufa. Las placas ceramicas del XVI en la Casa Aguirrebeña de Bergara, Bergara.

Pieper, Paul (1940/41): Ein Fund mittelalterlicher Ofenkeramik in Lübeck. In: Korrespondenzblatt der technischen Zentrale des Reichsinnungsverbandes des Töpfer- und Ofensetzerhandwerks 11, S. 7.

Pieper, Paul (1940): Ein Fund mittelalterlicher Ofenkeramik in Lübeck. In: Lübeckische Blätter. Monatsschrift der Gesellschaft zur Förderung gemeinnütziger Tätigkeit 82 (20), S. o. S.

Rosmanitz, Harald (2011): Vom Fragment zum Kachelofen. Die Stecknadel im Heuhaufen. In: Georg Ulrich Großmann (Hg.): Heiß diskutiert – Kachelöfen. Geschichte, Technologie, Restaurierung (Veröffentlichung des Instituts für Kunsttechnik und Konservierung im Germanischen Nationalmuseum 9), Nürnberg, S. 13–31.

Rosmanitz, Harald (2013): Wohlige Wärme in der Residenzstadt. Meininger Kachelgeschichte(n). In: Mathias Seidel (Hg.): Spiegel des Alltags. Archäologische Funde des Mittelalters und der frühen Neuzeit aus Meiningen, Meiningen, S. 57–71.

Rosmanitz, Harald (2022a): Reliefierte Ofenkacheln des Spätmittelalters und der Neuzeit aus dem Spessart im Spannungsfeld von Motivgeber, Handwerker und Verbraucher. Möglichkeiten und Grenzen einer induktiven Kontextualisierung. (masch. Diss), Partenstein.

Rosmanitz, Harald (2022b): Zwischen Masse und Klasse. Die „Nürnberger Standardkacheln“ der Renaissance. In: Georg Döhner; Lutz Grunwald (Hg.): Keramik in Berlin, Brandenburg und Europa. Produktion, Innovation, Handel und Handelsgeschichte, Berlin, S. 240–251.

Strauss, Konrad (1972): Die Kachelkunst des 15. und 16. Jahrhunderts in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Skandinavien. II. Teil, Basel.

Strauss, Konrad (1983): Die Kachelkunst des 15. bis 17. Jahrhunderts in europäischen Ländern. III. Teil, München.

Wegner, Martina (2019): Sächsische Ofenkeramik der frühen Neuzeit. Produktion und Bildmotive sowie deren Ausbreitung am Beispiel der Töpfereiabwürfe vom Wilhelm-Leuschner-Platz in Leipzig. (masch. Diss.), Bamberg.

Wingenroth, Max (1899): Kachelöfen und Ofenkacheln des 16. und 17. und 18. Jahrhunderts im Germanischen Museum, auf der Burg und in der Stadt Nürnberg. Teil II. In: Mitteilungen des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg, S. 87–104.

Weiterführende Literatur:

Endres, Werner (Hg.) (2005): Straubinger Renaissancekeramik (Katalog des Gäubodenmuseums Straubing 30), Straubing.

Franz, Rosemarie (1981): Der Kachelofen. Entstehung und kunstgeschichtliche Entwicklung vom Mittelalter bis zum Ausgang des Klassizismus, 2. verb. u. verm. Aufl., Graz.

Gehrke, Wolfgang (1992): Alltagsleben und Magie im Spiegel der Bodenfunde. In: Regina Hanemann; Jürgen Julier (Hg.): 450 Jahre Jagdschloss Grunewald. 1542-1992, Berlin, S. 86–95.

Hoffmann, Yves (2009): Ein Fund spätgotischer Ofenkacheln aus Mittweida. In: Sächsische Heimatblätter 55, S. 241–246.

Perla, Antonio (1998): Historia de una estufa. Las placas ceramicas del XVI en la Casa Aguirrebeña de Bergara, Bergara.

Pieper, Paul (1940/41): Ein Fund mittelalterlicher Ofenkeramik in Lübeck. In: Korrespondenzblatt der technischen Zentrale des Reichsinnungsverbandes des Töpfer- und Ofensetzerhandwerks 11, S. 7.

Pieper, Paul (1940): Ein Fund mittelalterlicher Ofenkeramik in Lübeck. In: Lübeckische Blätter. Monatsschrift der Gesellschaft zur Förderung gemeinnütziger Tätigkeit 82 (20), S. o. S.

Rosmanitz, Harald (2011): Vom Fragment zum Kachelofen. Die Stecknadel im Heuhaufen. In: Georg Ulrich Großmann (Hg.): Heiß diskutiert – Kachelöfen. Geschichte, Technologie, Restaurierung (Veröffentlichung des Instituts für Kunsttechnik und Konservierung im Germanischen Nationalmuseum 9), Nürnberg, S. 13–31.

Rosmanitz, Harald (2013): Wohlige Wärme in der Residenzstadt. Meininger Kachelgeschichte(n). In: Mathias Seidel (Hg.): Spiegel des Alltags. Archäologische Funde des Mittelalters und der frühen Neuzeit aus Meiningen, Meiningen, S. 57–71.

Rosmanitz, Harald (2022a): Reliefierte Ofenkacheln des Spätmittelalters und der Neuzeit aus dem Spessart im Spannungsfeld von Motivgeber, Handwerker und Verbraucher. Möglichkeiten und Grenzen einer induktiven Kontextualisierung. (masch. Diss), Partenstein.

Rosmanitz, Harald (2022b): Zwischen Masse und Klasse. Die „Nürnberger Standardkacheln“ der Renaissance. In: Georg Döhner; Lutz Grunwald (Hg.): Keramik in Berlin, Brandenburg und Europa. Produktion, Innovation, Handel und Handelsgeschichte, Berlin, S. 240–251.

Strauss, Konrad (1972): Die Kachelkunst des 15. und 16. Jahrhunderts in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Skandinavien. II. Teil, Basel.

Strauss, Konrad (1983): Die Kachelkunst des 15. bis 17. Jahrhunderts in europäischen Ländern. III. Teil, München.

Wegner, Martina (2019): Sächsische Ofenkeramik der frühen Neuzeit. Produktion und Bildmotive sowie deren Ausbreitung am Beispiel der Töpfereiabwürfe vom Wilhelm-Leuschner-Platz in Leipzig. (masch. Diss.), Bamberg.

Wingenroth, Max (1899): Kachelöfen und Ofenkacheln des 16. und 17. und 18. Jahrhunderts im Germanischen Museum, auf der Burg und in der Stadt Nürnberg. Teil II. In: Mitteilungen des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg, S. 87–104.

  1. Augsburg, Armenhausgasse 11 (Augsburg, Stadtarchäologie, Inv.-Nr. 2005,0735)
  2. Volkach, Unteres Tor (Volkach, Sammlung Karl Schneider)
  3. Wertheim Burg (Wertheim, Grafschaftsmuseum)
  4. Rosmanitz 2013, S. 59-61; Rosmanitz 2022b
  5. Franz 1981, S. 78; Wingenroth 1899, S. 87-89
  6. FurnArch (Furnologisches Archiv) ist eine nicht öffentlich zugängliche Datenbank zur Erfassung reliefierter Ofenkeramik in Süd- und Südwestdeutschland (Rosmanitz 2011, S. 24-25; Rosmanitz 2022a, S. 24-29). FurnArch enthält 361 Kacheln mit Architekturzitaten (0,03 %).
  7. Gehrke 1992, S. 88-92
  8. Perla 1998, S. 374-380
  9. Perla 1998, S. 165, Abb. 81
  10. Strauss 1983, Taf. 133.2; Rosmanitz 2022a, S. 209-220
  11. Karlsruhe-Durlach, Rebenstraße 4 (Karlsruhe. Privatbesitz, Rosmanitz 2022a, Taf. 347.3)
  12. Ettlingen, Hirschgasse (Ettlingen, Museum, Rosmanitz 2022a, Taf.379.2)
  13. Strauss 1983, S. 63-66
  14. Hoffmann 2009; Strauss 1983, S. 33-38; Wingenroth 1899, S. 98-91
  15. Wegner 2019, S. 307-309, Abb. 133
  16. Endres 2005, S. 166, Abb. 145
  17. Pieper 1940/41, S. 29, Abb. III.3; Pieper 1940; Strauss 1972, Taf. 81.2