Motive: Christophorus

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Fragments einer Halbzylinderkachel mit geschlossenem Vorsatzblatt mit Christophorus mit dem Jesuskind von der Burg Bartenstein, Untermain, letztes Drittel 15. Jahrhundert, Partenstein, Burg Bartenstein, um 1480, H. 22,0 cm, Br. 18,3 cm, Partenstein, Museum Ahler Kram, Fd.-Nr. 1035Eine spätgotische Reiseversicherung

Von der Halbzylinderkachel mit dem Heiligen Christophorus von der Burg Bartenstein1 hat sich bis auf die obere rechte Ecke annähernd das vollständige Vorsatzblatt erhalten. Über modelgleiche Kachel aus einer Töpferei in der Rebenstraße in Karlsruhe-Durlach lässt sich das Relief vervollständigen.2

Vor glattem Hintergrund wird das Innenfeld von der nach links schreitenden Figur eines alten Mannes eingenommen. Sein Kopf mit langem, lockigem Haupthaar und dem mächtigen, in zwei Spitzen auslaufenden Bart ist dem Betrachter zugewandt. Er stützt sich mit beiden Händen auf einen Stamm, von dessen oberem Drittel Äste in alle Richtungen abstehen. Der bogenförmig nach oben wehende, von Knickfalten durchzogene Überwurf verleiht der Darstellung die ihr ansonsten fehlende Dynamik. Der Mantelsaum leitet über zu einem Kind. Es sitzt auf den Schultern des alten Mannes. Mit seiner linken Hand greift es in die Haare seines Trägers. Die angewinkelte Rechte hat das frontal zum Betrachter sitzende Kind, dessen Kopf von einem Nimbus hinterfangen ist, zum Segnungsgestus erhoben. Eine schmale Arkade mit Halbstäben und mit Akanthusrosetten in den Zwickeln, eingestellt in eine breite Leiste mit einer mit Eicheln besetzten Kehle umrahmen die Szene.

Das 3D-Modell der Christophorus-Kachel aus Partenstein.

Fragment einer Halbzylinderkachel mit geschlossenem Vorsatzblatt mit Christophorus mit dem Jesuskind aus Karlsruhe-Durlach, Rebenstraße, um 1480, , H. 21,3 cm, Br. 17,4 cm, Karlsruhe-Durlach, PrivatbesitzVerglichen mit der Verkündigung, mit der Anbetung durch die Könige oder mit Samson als Löwenbezwinger sind Darstellungen des Heiligen Christophorus mit dem Jesuskind auf seinen Schultern auf reliefierter Ofenkeramik vergleichsweise selten.3 Dies mag verwundern, wird der Heilige doch als einer der vierzehn Nothelfer gerade in der Spätgotik außerordentlich oft dargestellt.

Christophorus mit dem Jesuskind. Kupferstich des Meister E. S., um 1480 (aus Appuhn 1989, Abb. 143)Die Motivrezeption verweist auf einen Nutzungsschwerpunkt im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts. Das Bildmotiv, dessen Beziehungen zu einem Kupferstich des Meisters E. S. unverkennbar sind,4 war am Oberrhein verbreitet. Das Verbrauchermilieu strahlt in den Rhein-Main-Raum aus.

Seine Vita wird in der Legenda Aurea des Jacobus de Voragine um 1264 folgendermaßen geschildert:5 Der Riese Christophorus (= der, der Christus trägt) war Zeit seines Lebens auf der Suche nach dem mächtigsten König. Ein Eremit machte ihn auf Jesus Christus aufmerksam. Fortan verdingte sich Christophorus damit, daß er Reisende auf seinen Schultern über einen ansonsten unpassierbaren Fluß trug. Ein kleines Kind lastete bei dieser Passage immer schwerer auf seinen Schultern. Der Christusknabe offenbarte sich seinem Träger mit den Worten „Mehr als die Welt hast Du getragen. Der Herr, der die Welt erschaffen hat, war deine Bürde.“

Verbreitung von Kachelreliefs mit Christophorus mit dem Jesuskind Legende: rot: Kachelofenstandort; blau: Produktionsstandort

Christophorus ist der Patron der Schiffer, Fuhrleute, Gärtner und Reisenden. Ab dem 19. Jahrhundert fungierte Christophorus auch als Schutzheiliger der Kraftfahrer. Starb ein Reisender, ohne dass er zuvor die letzte Ölung erhalten hatte, so genügte nach mittelalterlicher Glaubensvorstellung ein Blick auf den Heiligen, um ihm trotzdem einen Zugang zum Jüngsten Gericht zu ermöglichen. Es verwundert daher kaum, dass übermannshohe Darstellungen von Christophorus an weithin sichtbarer Stelle an Kapellen oder innerhalb von Kirchen angebracht waren.

 

Harald Rosmanitz, Partenstein 2022


Weiterführende Literatur:

Appuhn, Horst (1989): Meister E. S. Alle 320 Kupferstiche (Harenberg Edition. Die bibliophilen Taschenbücher 567), Dortmund.

Benz, Richard (1984): Die Legenda aurea des Jacobus de Voragine, 10. Aufl., Heidelberg.

Bielich, Mário (2012): Religious figural motifs on stove tiles from Slovakia. [Religiöse figurale Motive auf Ofenkacheln aus der Slowakei]. In: Studies in Postmedieval Archeology, S. 477–509.

Brenker, Gertrud (1974): Christophorus. Patron der Schiffer, Fuhrleute und Kraftfahrer. Legende, Verehrung, Symbol, München.

Höfler, Janez (2007): Der Meister E. S. Ein Kapitel europäischer Kunst des 15. Jahrhunderts, Regensburg.

Pillin, Hans-Martin (1990): Kleinode der Gotik und Renaissance am Oberrhein. Die neuentdeckten Ofenkacheln der Burg Bosenstein aus den 13.-16. Jahrhundert, Kehl.

Rosmanitz, Harald (2006): Neues von der Burg Bartenstein im Spessart. Gemeinde Partenstein, Landkreis Main-Spessart, Unterfranken. In: Das Archäologische Jahr in Bayern 2005, S. 131–133.

Rosmanitz, Harald (2008): Auf den Spuren des Spessartglases. Archäologische Untersuchungen auf der Burg Bartenstein bei Partenstein. In: Helmut Flachenecker; Gerrit Himmelsbach; Peter Steppuhn (Hg.): Glashüttenlandschaft Europa. Beiträge zum 3. Internationalen Glassymposium in Heigenbrücken, Spessart (Historische Studien der Universität Würzburg 8), Regensburg, S. 84–94.

Rosmanitz, Harald (2012): Graphische Vorlagen und ihre Umsetzung. In: Eva Roth Heege (Hg.): Ofenkeramik und Kachelofen. Typologie, Terminologie und Rekonstruktion im deutschsprachigen Raum (Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters 39), Basel, S. 64–67.

Rosmanitz, Harald (2017): Vom Hölzchen auf´s Stöckchen. Was hat ein Einhorn auf Ofenkacheln zu suchen? In: Christoph Rinne; Jochen Reinhard; Eva Roth Heege; Stefan Teuber (Hg.): Vom Bodenfund zum Buch. Archäologie durch die Zeiten. Festschrift für Andreas Heege zum 60. Geburtstag, Bonn, S. 273–288.

Rosmanitz, Harald (2022): Reliefierte Ofenkacheln des Spätmittelalters und der Neuzeit aus dem Spessart im Spannungsfeld von Motivgeber, Handwerker und Verbraucher. Möglichkeiten und Grenzen einer induktiven Kontextualisierung. (masch. Diss), Partenstein.

 

  1. Rosmanitz 2006; Rosmanitz 2008; Rosmanitz 2017, S. 278-279; Rosmanitz 2022, S. 145-147
  2. Rosmanitz 2022, S. 187-188
  3. Zur Ikonographie siehe Bielich 2012, S. 496; Brenker 1974; Pillin 1990, S. 68-70, Kat.-Nr. 17
  4. Rosmanitz 2012, S. 64, Abb. 62-63. Zur graphischen Vorlage siehe Appuhn 1989, Abb. 143; Höfler 2007, Bd. 2, Abb. 140
  5. Benz 1984, S. 498-503