Motive: Die Sinne aus Meßkirch

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Fragment einer über Eck geführten Blattkachel der Serie der Sinne als Frauenbüsten: Das Gehör grün glasiert, Südwestdeutschland, letztes Drittel 17. Jh., H. 20,3 cm, Br. 20,0 cm, T. 9,9 cm, Rastatt, Archäologisches Landesmuseum, Zentrales Funddepot, ursprünglich Messkirch, Schloss, Fd.-Nr. 1995-29-152Das Jahr 1995 stellt für das Schloss in Meßkirch eine bedeutende Zäsur in seiner Baugeschichte dar. Die Anlage, deren Wurzeln in die Mitte des 14. Jahrhunderts zurückreichen, wurde in ihrer heutigen Form ab 1557 errichtet. Anlass dafür bot die Erhebung der Eigentümer, der Herren von Zimmern, in den Grafenstand. Eine Umbauphase dürfte um 1629 erfolgt sein, als das Schloss in den Besitz des Hauses Fürstenberg überging. Bei Sanierungsarbeiten im Jahre 1995 stieß man im nordwestlichen Teil des Schlosshofes auf ein großes Konvolut von mehr als tausend Kacheln. Trotz der Betreuung der Baumaßnahme durch die Denkmalschutzbehörden erfolgte keine Dokumentation des Befundes.1

Aus dem Kachelmassenfund stammt eine über Eck geführte Blattkachel aus der Serie der Sinne mit Frauenbüsten in spanischer Hoftracht. Die grün glasierte Kachel zeigt im runden Innenfeld eine beleibte Dame in der Blüte ihrer Jahre. Ihr leicht nach rechts gedrehter Kopf ist von welligem, langem Haupthaar umschlossen und mit einem federbesetzen Haarnetz besetzt. Unter einem tiefen Halsausschnitt setzte eine Bluse an. Sie wird von einer breiten, spitzenbesetzten Bordüre gefasst. Die raumgreifende Büste wird rechts von einer Tischorgel und links von einem zum Betrachter blickenden Hirsch flankiert. Tischorgel und Hirsch verweisen auf einen der sieben Sinne, auf das Gehör. Anstelle der Tischorgel kann die Allegorie des Gehörs in anderen Bildfolgen auch eine Knickhalslaute spielen.

Ein lorbeerblattbesetztes Medaillon, das sowohl horizontal als auch vertikal durch Rollwerk mit dem Untergrund verklammert zu sein scheint, grenzt das Innenfeld vom Rahmen ab. Alle vier Zwickel sind mit geflügelten Puttenköpfen besetzt. Ihre lockige Haarpracht wurde so ausgebildet, dass sie die Zwickelspitzen vollständig ausfüllt. Nach außen schließt eine rechteckig um das Relief geführte, zweifach abgetreppte Rahmenleiste die Kachel ab.

Die Schmalseite greift auf ihrem Bildfeld die geflügelten Puttenköpfen mit ihrer spitz nach oben weisenden Lockenpracht und den eingerollten Flügelspitzen auf. Reduziert auf zwei in ihrer Breitenerstreckung stark gestauchte Versatzstücke flankieren diese oben und unten eine runde Blüte mit nach innen weisenden Blütenblättern und großem Fruchtstand.


Motive der Serie der Sinne als Frauenbüsten

Fragment einer Blattkachel der Serie der Sinne als Frauenbüsten: Das Sehen
dunkelbraun glasiert, Südwestdeutschland, letztes Drittel 17. Jh., H. 19,5 cm, Br. 19,5 cm

Basel, Historisches Museum, Inv.-Nr. 1988 554

Fragment einer Blattkachel der Serie der Sinne als Frauenbüsten: Der Geruch
grün glasiert, Südwestdeutschland, letztes Drittel 17. Jh., H. 20,4 cm, Br. 13,4 cm

Rastatt, Archäologisches Landesmuseum, Zentrales Funddepot, ursprünglich Messkirch, Schloss, Fd.-Nr. 1995-29-160

Fragment einer Blattkachel der Serie der Sinne als Frauenbüsten: Das Schmecken
graphitiert, Südwestdeutschland, letztes Drittel 17. Jh., H. 12,0 cm, Br. 9,0 cm

Kirchheim unter Teck, Städtisches Museum im Kornhaus, urspr. Sonnenstraße (Heidenschaft)

Fragment einer Blattkachel der Serie der Sinne als Frauenbüsten: Das Gehör
dunkelbraun glasiert, Südwestdeutschland, letztes Drittel 17. Jh., H. 20,0 cm, Br. 20,0 cm

Freiburg im Breisgau, Augustinermuseum, Inv.-Nr. 12869

Im Konvolut vom Schloss in Meßkirch konnten zwölf Fragmente diesem Dekor zugewiesen werden. Mit ihm dürfte ein kubischer Feuerkasten oder ein ebenso eckiger Oberofen eines Kachelofens bestückt gewesen sein. Im Bildaufbau übereinstimmend unterscheiden sich die Stücke lediglich durch die die Büste flankierenden Attribute. So verkörpert eine blütenbesetzte Vase das Riechen sowie ein Handspiegel und die Sonne das Sehen. Die Serie dürfte, entsprechend zu anderen Kachelserien dieses Themenfelds,2 ursprünglich aus sechs Motiven bestanden haben. Neben den fünf Sinnen Hören, Fühlen, Riechen, Schmecken und Sehen wurde die Bildfolge häufig um die Geschwindigkeit ergänzt.

Verbreitung der Serie der Sinne als Frauenbüsten, Karte: Sabrina Bachmann, HeimbuchenthalDie Serie der Sinne mit Frauenbüsten in spanischer Hoftracht war im gesamten deutschen Südwesten verbreitet. Als östlicher Ausläufer ist auf das Neue Schloss in Ingolstadt zu verweisen. Dort waren die Reliefs als Doppelreliefs in querformatigen Blattkacheln eingebunden.

Von den 96 in FurnArch und FurnLit enthaltenen Kachelfragmenten der Motivausprägung stammen alleine 64 Fragmente von sieben Fundpunkten (= Kachelofenstandorten) in Kirchheim-Teck.3 Abgesehen vom Fühlen und der Geschwindigkeit sind über die bislang bekannten Reliefs der Serie alle weiteren Versatzstücke der Bildfolge nachweisbar. Sowohl in Ingolstadt als auch in Kirchheim/Teck und Meßkirch waren Öfen mit den hier vorgestellten Reliefs in Residenzen aufgestellt.

Zusammen mit Aposteln, Elementen, Erdteilen, Evangelisten, Freien Künsten, Lastern, Tageszeiten, Tugenden oder Weltreichen kommt in der Serie der Sinne der sich bereits in der Renaissance abzeichnende und immer stärker werdende Wunsch zum Ausdruck, Das Bildprogramm eines Ofens im Sinne eines Theatrum Mundi (Welttheaters) in einen übergeordneten Kontext zu stellen. Eine Steigerung war durch eine thematische Verschränkung möglich. So ließ sich der Serie der stehenden Propheten durch Attribute und Inschriften zusätzlich als Tugendserie ausweisen.4

Ähnliche Konzeptionswünschen folgte die Verschränkung von unterschiedlichen Serien in Innenfeld und Rahmen. Im letzten Drittel des 17. Jahrhundert hatte dieser Trend zu einer kaum mehr erfassbaren bildnerischen Komplexität geführt. In dieser Zeit ist auch die hier vorgestellte Motivfolge zu verorten.5


Weitere Ofenkeramik der Serie der Sinne als Frauenbüsten

Fragment einer über Eck geführten Blattkachel der Serie der Sinne als Frauenbüsten: Das Gehör
grün glasiert, Südwestdeutschland, letztes Drittel 17. Jh., H. 20,3 cm, Br. 20,0 cm, T. 9,9 cm

Rastatt, Archäologisches Landesmuseum, Zentrales Funddepot, ursprünglich Messkirch, Schloss, Fd.-Nr. 1995-29-152

Fragment einer über Eck geführten Blattkachel der Serie der Sinne als Frauenbüsten: Das Gehör
grün glasiert, Südwestdeutschland, letztes Drittel 17. Jh., H. 20,3 cm, Br. 20,0 cm, T. 9,9 cm

Rastatt, Archäologisches Landesmuseum, Zentrales Funddepot, ursprünglich Messkirch, Schloss, Fd.-Nr. 1995-29-152

Fragment einer Blattkachel der Serie der Sinne als Frauenbüsten: Das Gehör
dunkelbraun glasiert, Südwestdeutschland, letztes Drittel 17. Jh., H. 20,0 cm, Br. 20,0 cm

Freiburg im Breisgau, Augustinermuseum, Inv.-Nr. 12869

Fragment einer Blattkachel der Serie der Sinne als Frauenbüsten: Der Geruch
grün glasiert, Südwestdeutschland, letztes Drittel 17. Jh., H. 20,4 cm, Br. 13,4 cm

Rastatt, Archäologisches Landesmuseum, Zentrales Funddepot, ursprünglich Messkirch, Schloss, Fd.-Nr. 1995-29-160

Fragment einer Blattkachel der Serie der Sinne als Frauenbüsten: Das Sehen
dunkelbraun glasiert, Südwestdeutschland, letztes Drittel 17. Jh., H. 19,5 cm, Br. 19,5 cm

Basel, Historisches Museum, Inv.-Nr. 1988 554

Fragment einer Blattkachel der Serie der Sinne als Frauenbüsten: Das Sehen
graphitiert, Südwestdeutschland, letztes Drittel 17. Jh., H. 19,5 cm, Br. 9,8 cm

Kirchheim unter Teck, Städtisches Museum im Kornhaus, urspr. Marstallgasse 3

Fragment einer Blattkachel der Serie der Sinne als Frauenbüsten: Das Schmecken
graphitiert, Südwestdeutschland, letztes Drittel 17. Jh., H. 12,0 cm, Br. 9,0 cm

Kirchheim unter Teck, Städtisches Museum im Kornhaus, urspr. Sonnenstraße (Heidenschaft)

Fragment des Models einer Blattkachel der Serie der Sinne als Frauenbüsten: Das Gehör
unglasiert, Südwestdeutschland/Elsass, 1670, H. 22,0 cm, Br. 21,5 cm

Straßburg, Musée Historique, Inv.-Nr. 12776
Fragment des Models des Innenfelds einer Blattkachel der Serie der Sinne als Frauenbüsten: Das Gehör
unglasiert, Südwestdeutschland, letztes Drittel 17. Jh., H. 11,3 cm, Br. 11,7 cm

Rothenburg ob Tauber, Töpferei Ehler

Fragment einer über Eck geführten Blattkachel der Serie der Sinne als Frauenbüsten: Der Geruch
grün glasiert, Ingolstadt (?), letztes Drittel 17. Jh., H. 14,2 cm, Br. 12,2 cm

Ingolstadt, Bayerische Armeemuseum, urspr. Ingolstadt, Neues Schloss, Fd.-Nr.7353/004

Fragment einer Blattkachel der Serie der Sinne als Frauenbüsten: Das Gehör
grün glasiert, Ingolstadt (?), letztes Drittel 17. Jh., H. 6,9 cm, Br. 16,0 cm

Ingolstadt, Bayerische Armeemuseum, urspr. Ingolstadt, Neues Schloss, Fd.-Nr.77253/005

Fragment einer Blattkachel der Serie der Sinne als Frauenbüsten: Das Sehen
grün glasiert, Ingolstadt (?), letztes Drittel 17. Jh., H. 19,0 cm, Br. 26,3 cm

Ingolstadt, Bayerische Armeemuseum, urspr. Ingolstadt, Neues Schloss, Fd.-Nr.7253/020-023


Weiterführende Literatur:

Endres, Werner (2011): Kachelfunde aus der Burg Flossenbürg. In: Beiträge zur Archäologie in der Oberpfalz und in Regensburg 9, S. 425–438.

Hüglin, Sophie (2013): Ofenkachelmotive als Quellen frühneuzeitlicher Kulturgeschichte. Mikrohistorische Studie aus Freiburg und dem Breisgau. In: Harald Siebenmorgen (Hg.): Blick nach Westen. Keramik in Baden und im Elsass. Karlsruhe, S. 129–137.

Konle, Christina J. (2007): Terra, Aqua, Aer. Kachelfunde aus Schloss Messkirch bei Sigmaringen. (masch. Magisterarbeit). Tübingen.

Putscher, Marielene (1971): Die fünf Sinne. In: Aachener Kunstblätter 41, S. 152–173. DOI: 10.11588/akb.1971.0.34855.

Röber, Ralph (1998): Spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Ofenkacheln aus dem Kreis und der Stadt Konstanz. In: Fundberichte aus Baden-Württemberg 22 1, S. 803–851.

Stelzle-Hüglin, Sophie (1993): Von Abraham bis Samson. Eine renaissancezeitliche Kachelserie mit alttestamentarischen Figuren. Bemerkungen zu Ikonographie und Verbreitungsbild. In: Werner Endres (Hg.): Beiträge vom 25. Internationalen Hafnerei-Symposium in Lienz, Osttirol 1992 (Nearchos 1), S. 155–163.


© Harald Rosmanitz, Partenstein 2020

  1. Konle 2007, S. 10-11
  2. Endres 2011; Putscher 1971; Röber 1998, S.811-814
  3. Kirchheim/Teck, Dreikönigstraße 9a, Marstallgasse 3, Paulinenstraße 3, Sonnenstraße, Schlossplatz, Turmstraße 2a, Wellingstraße 12 (Kirchheim/Teck, Städtisches Museum im Kornhaus)
  4. Stelzle-Hüglin 1993; Hüglin 2013, S. 131-134
  5. Die Zeitstellung erschließt sich aus einem rückseitig auf das Jahr 1670 datierten Model in Straßburg (Straßburg, Musée Historique, Inv.-Nr. 12776) und der Zerstörung der Öfen in Kirchheim/Teck am 3. August 1690.