Das in Mannheim bei Ausgrabungen im Jahre 2011gefundene Modelfragment ist Teil eines vielfigurigen Rahmens. Von diesem hat sich der Mittelteil der Sockelleiste erhalten. Man erkennt ein horizontal nach rechts ausgestrecktes Bein und darüber den Unterbau einer Sphärenkugel. Die Darstellung lässt sich mit Hilfe eines vollständig erhaltenen Rahmenmodels im Hällisch-Fränkischen Museum in Schwäbisch Hall als zwei kniende beziehungsweise annähernd liegende, sich umarmende Knaben identifizieren. Als Attribute sind ihnen eine Sphärenkugel sowie ein Lamm beigegeben. Nimben über ihren Köpfen weisen sie als Heilige aus. Eine genauere Zuordnung ist mit Hilfe der Buchstabenkürzel I CH und S I auf Kopfhöhe als Iesus CHristus und Sanktus Iohannes möglich.
Als graphische Vorlage für die Figurengruppe kann ein bei dem Nürnberger Verleger Balthasar Caimox im Jahre 1613 gedruckter Kupferstich gelten.
Das Bildprogramm um die Figurengruppe von Jesus und Johannes dem Täufer wurde ursprünglich um die Allegorien des Glaubens und der Weitsicht bereichert. Die das Innenfeld seitlich flankierenden Allegorien sind als ganzfigurige Engel gearbeitet. Sie halten ein Kreuz und einen Handspiegel in ihren Händen.
Die sich innig umarmenden Knaben ergänzen die beiden Pfeilerfiguren um zwei weitere Tugenden, Liebe und Hoffnung. In ihrer Gesamtheit versteht sich das Bildprogramm damit als deutlicher Hinweis auf eine christliche Lebensführung, geprägt von den Idealen Liebe, Hoffnung, Glaube und Weitsicht. Flankiert von Fruchtgebinde haltenden, stehenden Putten in den Zwickeln vervollständigt der Heilige Geist in Form einer nimbierten Taube im Bogenscheitel das durch und durch der Gegenreformation verpflichtete Bildprogramm.
Ofenkeramiken mit Jesus und Johannes dem Täufer
Vergleichbare Rahmen sind aus Hanau, Kirchheim unter Teck, Meiningen und Schwäbisch Gmünd bekannt. Ein Fehlbrand aus dem Werkstattabfall einer Hafnerei in der Klosterstraße 8 in Schwäbisch Hall belegt die Produktion entsprechender Kacheln im Hohenlohischen. Dass das Motiv in einer etwas abgewandelten Arkade auch in Oberösterreich bekannt war, zeigt eine Blattkachel im Österreichischen Landesmuseum in Linz. An der Wende von 19. zum 20. Jahrhundert wurde der Dekor von einer in Mosbach am Neckar ansässigen Kachelfabrik wieder aufgenommen.
Mit dem Mannheimer Model gelingt nicht nur der Nachweis der Kachelfertigung solcher manieristischer Kacheln im Rhein-Neckar-Raum. Das auf den ersten Blick eher unscheinbare Fragment liefert den ersten sicheren Nachweis einer Mannheimer Kachelproduktion zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Die ortsansässigen Hafner standen mit ihren Produkten in Konkurrenz zu längst etablierten Werkstätten wie jener in der Unteren Neckarstraße in Heidelberg oder in der Feuerleitergasse in Ladenburg.
Weiterführende Literatur:
Jonathan Burrows, Heike Lasch, Zeugen einstiger Pracht in der Hanauer Nordstraße. Main-Kinzig-Kreis: Funde hochwertiger, im Hanauer Stadtgraben entsorgter Ofenkacheln, in: hessenArchäologie. Jahrbuch für Archäologie und Paläontologie in Hessen 2008, S. 150–154
Harald Rosmanitz, Wohlige Wärme in der Residenzstadt. Meininger Kachelgeschichte(n), in: Mathias Seidel (Hg.), Spiegel des Alltags. Archäologische Funde des Mittelalters und der frühen Neuzeit aus Meiningen, Meiningen 2013, S. 68-70
© Harald Rosmanitz, Partenstein 2021