Motive: Kleine Apostelserie

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Fragment eines Models des Innenfelds einer Blattkachel der Apostelserie: Thomas unglasiert, 17. Jh., H. 6,3 cm, Br. 3,8 cm, Rastatt, Archäologisches Landesmuseum, Zentrales Funddepot, urspr. Isny, Hofstatt Isny im Allgäu ist eine Stadt im Kreis Ravensburg. Die Stadt stieg in den zwei Jahrhunderten nach ihrer Gründung im 11. Jahrhundert zu einer freien Reichsstadt auf. Ihre Entwicklung wurde durch drei große Brände im 13., 17. und 19. Jahrhundert maßgeblich geprägt. Vor allem das verheerende Feuer im Jahre 1631 stürzte die Stadt in eine Krise, von der sie sich nie ganz erholten sollte. Im Zuge der Stadtkernsanierung untersuchte das Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg zwischen 2012 bis 2016 den südlichen Teil der Altstadt archäologisch.1 Im Verlauf der Grabung auf dem circa 4000 m2 großen Areal wurden mehrere Gruben entdeckt, die von einer etwa einen Meter dicken humosen Schicht überlagert waren. Die Verfüllungen waren mit Brandschutt durchsetzt und enthielten spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Funde. Den schriftlichen Überlieferungen nach kann der Brandschutt mit dem großen Stadtbrand von 1631 in Verbindung gebracht werden. Der südliche Bereich der Grabungsfläche, die so genannte Hofstatt, blieb danach größtenteils unbebaut. Von der Töpfertradition in der ehemaligen Reichsstadt zeugen 64 Ofenkacheln, Kachelmodel und Patrizen. In einer Grubenverfüllung, die stark mit Brandschutt durchsetzt war, wurden alleine 57 solcher Keramikfragmente sichergestellt.2 Sie weisen einen hohen Zerscherbungsgrad auf. Es stellt sich die Frage, ob die furnologischen Artefakte im direkten Nachgang des Feuers von 1631 in den Boden gelangten.3

Ein Model soll im Folgenden in den Mittelpunkt der Betrachtungen gerückt werden: Das Stück gehört mit einer Höhe von 6,3 cm und einer Breite von 3,8 cm zu den kleineren Modeln dieses Komplexes. Die hellbeige bis dunkelgraue Färbung der Keramik liefert Grund zur Annahme, dass es oxidierend gebrannt wurde. Die Rückseite ist glatt und weist auf der rechten unteren Seite einen auffälligen runden Lufteinschluss auf. Die Magerung ist fein. Das Objekt weist keine Behautung oder Engobe auf.

Geborgen wurde das Fragment in einem mit Brandschutt verfüllten Keller.4 Die reliefierte Vorderseite des Models mit bogenförmigem, oberem Abschluss wird von einem gewandeten, bärtigen Mann eingenommen. In seiner rechten Hand hält er eine Lanze quer vor seinem Körper. Sein linker Arm ist angewinkelt. In der Hand hält er ein Buch. Die obere Hälfte des Kopfes ist ausgebrochen.  Über den Vergleich mit dem Innenfeld auf einer Blattkachel, die heute im Hetjens-Museum in Düsseldorf aufbewahrt wird,5 kann die Ganzfigur als der Apostel Thomas identifiziert werden, der durch eine Lanze seinen Tod fand. Wie bei fast allen Attributen, die den Aposteln beigegeben sind, handelt es sich demnach um eines jener Werkzeuge, mit denen die Begleiter Christi ihr Martyrium erlitten.

Vergleich des Modelfragments aus Isny mit einer grünen Blattkachel aus DüsseldorfBei dem Vergleichsstück aus Düsseldorf ist der stehende Apostel in eine mit zahlreichen Versatzstücken bestückte Arkade mit hoher Sockelzone eingebunden. Sie nimmt den Großteil des Bildfeldes für sich in Anspruch. Umschlossen von einem zweifach getreppten Rahmen mit zur Mitte leicht einziehender Randleiste ruht die streng achsensymmetrisch aufgebaute Arkade mit gedrücktem Segmentbogen auf einer breiten Sockelleiste. Das Postament ist mit einem geflügelten Puttenkopf besetzt, dem Rankenwerk entwächst. In die Stirnseiten der beiden flankierenden Pfeiler sind mit Muschelwerk besetzte Nischen eingetieft. In ihnen steht jeweils eine Vase mit einem Blumenstrauß. Über dem Bogen­scheitel erkennt man eine nach vorne fliegende Taube mit gespreizten Flügeln. Ihr Kopf ist von einem Nimbus hinterfangen. Der Vogel verkörpert in dieser Form den Heiligen Geist. Die sitzenden, geflügelten Putten in den Zwickeln, die Vogel im Bogenscheitel flankieren, halten jeweils ein mit Blumen und Früchten gefülltes Füllhorn in ihren Händen,

Thomas gehört zu den zwölf Aposteln Jesu. Zu den Attributen des Heiligen zählt das Winkelmaß, ein Hinweis auf seinen Beruf des Baumeisters. Die Lanze weist auf seinen Märtyrertod hin.  Bekannt ist Thomas in seiner Rolle als Zweifler der Wiederauferstehung Christi von den Toten. In der Kunst wird er häufig in jenem Moment dargestellt, in dem er dem Heiland nach seiner Auferstehung die Finger in die Seitenwunde legt. Auch nach Maria Himmelfahrt kann er dieses Wunder nicht glauben und erhält von Maria einen Gürtel als Beweis. Wie auch die alttestamentarischen Helden wurden die Apostel als Einzelfiguren gemeinsam mit Christus in eine mindestens dreizehnteilige Bildfolge eingebunden. Auf Werken der Kachelkunst war diese seit Beginn des 16. Jahrhunderts populär. Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang auf die reliefierten Halbzylinderkacheln von Typ Halberstadt6 oder auf dem Ochsenfurter Ofen.7 Thomas ist darüber hinaus Teil einer am Ende des 16. Jahrhundert entstandenen Apostelserie, die nach Kupferstichen des Antwerpener Künstlers Hendrick Goltzius gefertigt wurden.8 Die Oberrheinische Apostelserie wird als Apostelserie vom Typ C bezeichnet.

Verbreitung der kleinen Serie der Apostel, Karte: Sabrina Bachmann, HeimbuchenthalDas hier vorgestellte Innenfeldmodel aus Isny unterscheidet sich gleich in mehreren Hinsichten von dieser Bildfolge. Als erstes fällt auf, dass sich das Proportionsverhältnis von Innenfeld und Rahmen deutlich zugunsten der rahmenden Arkade verschoben hat. Die Reliefs in den Innenfeldern lassen sich mit den Graphiken von Goltzius nicht mehr in Übereinstimmung bringen. Auch die Verbreitung der hier zur Debatte stehenden Bildfolge ist nach derzeitigen Kenntnisstand deutlich schwächer ausgeprägt, als diejenige der Oberrheinischen Apostelserie.

Das Model aus Isny mit seinem kleinen Innenfeld gehört dem Typ D furnologischer Apostelserien an. Sie dürften am Ende 17. Jahrhunderts Verbreitung in Südbaden gefunden haben. Ähnlich wie die Protagonist der Oberrheinischen Apostelserie werden diese aus dem szenischen Geschehen herausgelöst, das in den graphischen Vorlagen noch deutlich aufscheint. Die Körperhaltung des Apostels erinnert an Darstellungen Martin Schongauers. Der ausgeprägte Kontrapost, der durch die Falten des Gewandes betont wird, und die verdrehte Haltung der Hand an der Lanze lassen auf bildnerische Vorlage des ausgehenden 15. Jahrhundert schließen. Damit steht die Darstellung, ähnlich wie die Bannerträgerin der Kurpfalz in einem um 1480 gefertigten Kupferstich von Israhel von Meckenem (um 1440-1503), in der Tradition der spätgotischen Kunst des Oberrheins.


Graphische Vorlagen der kleinen Apostelserie

Kleine Serie der Apostel, Christus
Kupferstich, Chrispyn de Passe nach Hendrick Goltzius, Ende 16. Jahrhundert
Kleine Serie der Apostel, Thomas
Kupferstich, Chrispyn de Passe nach Hendrick Goltzius, Ende 16. Jahrhundert
Kleine Serie der Apostel, Jacobus Minor
Kupferstich, Chrispyn de Passe nach Hendrick Goltzius, Ende 16. Jahrhundert
Kleine Serie der Apostel, Johannes
Kupferstich, Chrispyn de Passe nach Hendrick Goltzius, Ende 16. Jahrhundert
Kleine Serie der Apostel, Andreas
Kupferstich, Jacques de Gheyn nach Karel van Mander, Ende 16. Jahrhundert
Kleine Serie der Apostel, Philippus
Kupferstich, Jacques de Gheyn nach Karel van Mander, Ende 16. Jahrhundert

Eine direkte graphische Vorlage für das Innenfeldmodel aus Isny zu finden, erweist sich als problematisch. Erst wenn man sich von der Maßgabe einer spätgotischen Bildtradition löst und gleichzeitig mit der Vorstellung bricht, dass jede furnologische Motivfolge nach nur einer einzigen Kupferstichfolge gearbeitet wurde, lassen sich die Wurzeln der Apostelserie Typ D ableiten. Gleich zwei am Ende des 16. Jahrhunderts in Antwerpen tätige Künstler lieferten demzufolge die Bildmotive für die hier vorgestellte Serie: Jacques de Ghyn II. (1565-1629) war ein Schüler von Hendrick Goltzius. Chrispyn de Passe (1564-1637) setzte Bildideen von Hendrick Goltzius in dessen Auftrag in Kupferstiche um. Beide schufen am Ende des letzten Drittels des 16. Jahrhunderts Kupferstichfolgen mit Christus und seinen Jüngern. Die ganzfigurigen Apostel im jeweiligen Bildvordergrund wurden weitgehend auf Kachelreliefs übertragen. Die Entscheidung für de Ghyn oder für de Passe lässt aus heutiger Sicht keine Systematik erkennen. Thomas ist eine Bildfindung von de Passe.

Spätestens zu Beginn des 17. Jahrhundert dürfte auch die Apostelserie vom Typ D in Töpfereien zur Kachelproduktion verfügbar gewesen sein. Eine besondere Rolle kommt Stückten aus dieser Serie zu, die aus dem Schweizerischen Stein am Rhein stammen.9 Rahmen und Innenfelder sind außerordentlich scharf abgebildet und sprechen für eine Nähe zu Urpatize und Urmodel. Dies wird beim Vergleich mit dem Model aus Isny, vor allem jedoch mit den Kachelfragmenten von der Burg Rötteln bei Lörrach mehr als deutlich. Die Buchstaben „RS“ in der Sockelleiste der Rahmen in Stein am Rhein benennen den Modelschneider des Rahmens. Da selbiger so proportioniert war, dass keine andere Bildfolge in diesem Platz gefunden hätte, liegt die Vermutung nahe, dass der Meister RS auch für die Innenfeldreliefs verantwortlich gezeichnet haben dürfte.


Ofenkeramiken der kleinen Serie der Apostel

Fragment eines Models des Innenfelds einer Blattkachel der Apostelserie: Thomas
unglasiert, 17. Jh., H. 6,3 cm, Br. 3,8 cm

Rastatt, Archäologisches Landesmuseum, Zentrales Funddepot, urspr. Isny, Hofstatt
Blattkachel der kleinen Apostelserie: Jesus Christus
grün glasiert, 17. Jh., H. 19,0 cm, Br. 16,9 cm

Düsseldorf, Hetjens-Museum, Inv.-Nr. 02165
Fragment des Innenfelds einer Blattkachel der kleinen Apostelserie: Johannes
dunkelbraun glasiert, 17. Jh.

Lörrach, Dreiländermuseum, urspr. Lörrach, Burg Rötteln
Blattkachel der kleinen Apostelserie: Philippus
dunkelbraun glasiert, 17. Jh., H. 20,0 cm, Br. 18,0 cm

Lörrach, Dreiländermuseum, urspr. Lörrach, Burg Rötteln
Blattkachel der kleinen Apostelserie: Thomas
grün glasiert, 17. Jh., H. 19,5 cm, Br. 17,0 cm

Düsseldorf, Hetjens-Museum, Inv.-Nr. 1973-1111
Blattkachel der kleinen Apostelserie: Matthäus
grün glasiert, 17. Jh., H. 19,6 cm, Br. 17,1 cm

Düsseldorf, Hetjens-Museum, Inv.-Nr. 1973-1116
Blattkachel der kleinen Apostelserie: Judas Thaddäus
grün glasiert (?), 17. Jh.

Genf, Musée Ariana, Inv.-Nr. 1513 (Fotoarchiv Konrad Strauss)
Blattkachel der kleinen Apostelserie: Paulus
grün glasiert, 17. Jh., H. 19,1 cm, Br. 16,8 cm

Düsseldorf, Hetjens-Museum, Inv.-Nr. 1973-1151
Fragment einer Blattkachel der kleinen Apostelserie: Kreuzigung
dunkelbraun glasiert, 17. Jh.

Lörrach, Dreiländermuseum, urspr. Lörrach, Burg Rötteln
Fragment einer Blattkachel der kleinen Apostelserie: Kreuzigung
dunkelbraun glasiert, 17. Jh.

Lörrach, Dreiländermuseum, urspr. Lörrach, Burg Rötteln
Blattkachel der kleinen Apostelserie: Madonna
grün glasiert, 17. Jh., H. 19,1 cm, Br. 16,8 cm

Düsseldorf, Hetjens-Museum, Inv.-Nr. 1973-113

Es ist gelungen, die graphischen Vorlagen für die Apostelserie vom Typ D zu identifizieren. Die Kacheln aus Stein am Rhein geben uns einen Hinweis darauf, dass die Motivübertragung auf Kacheln nordwestlich des Bodensees erfolgt sein dürfte. In FurnArch sind 69 Fragmente der Serie nachweisbar (Stand September 2020). Bei einem Gutteil ist die Provenienz gesichert. Dies gilt leider nicht für die zeitliche Zuordenbarkeit. Daher wird derzeit in Anlehnung an die Apostelserie Typ C davon ausgegangen, dass die mindestens sechzehnteilige Bildfolge, bestehend aus Christus, seinen zwölf Aposteln, Paulus als dreizehnten Apostel, Maria und der Kreuzigung, parallel zu dieser vornehmlich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Kachelöfen am Oberrhein zierte.


Weiterführende Literatur:

Sabine Bartenstein, Mechthild Fuchs, Hafnerkunst in Villingen. Bestandskatalog I des Museums Altes Rathaus Villingen, Abt. Kunsthandwerk, Stadt Villingen-Schwenningen. Hafnerkunst in Villingen, Villingen 1978, S. 106, Kat.-Nr. IIc 1/2.

Peter Eggenberger, Willisau im Spiegel der Archäologie. Bd. II: Funde aus den archäologischen Forschungen, (Archaeologische Schriften Luzern) Luzern 2005.

Irina Galina, Ausgewählte Zeugnisse frühneuzeitlicher Ofenkachelproduktion aus Isny im Allgäu. (masch. Masterarbeit), Tübingen 2020, S. 51-53.

Alfred Godet, Les poêles à moulures polychromes et monochromes de notre canton, in: Musée Neuchâtelois 23 (1886), S. 149.

Jaroslav Halík, O starých plzeňských kamnářích, Plzeň 1948.


© Harald Rosmanitz und Irina Galina, Partenstein 2020

  1. Schmid et al. 2014
  2. Galina 2020
  3. Galina 2020, S. 25-27. Zur Kachelkomplexen, die im Dreißigjährigen Krieg in den Boden gelangten, siehe auch Majewski et al. 2019. Ein umfangreicher Werkstattbruch aus der Regierungsstraße in Magdeburg wird derzeit in Halle/Saale im Rahmen einer Dissertation aufbereitet.
  4. Isny, Hofstatt, Feld 3, Schnitt 511, Bef. Nr. 4454, Fd-Nr. 2012-95-1473
  5. Düsseldorf, Hetjens-Museum, Inv.-Nr. 1973-1111
  6. Kammel 2003; Krabath 2017; Strauss 1928; Strauss 1966, S. 20-32
  7. Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum (Essenwein 1875, Sp. 139-141; Hampe 1911; Kammel 2011, S. 33
  8. Rosmanitz 1996; Rosmanitz 2000
  9. Archiv Konrad Strauss