Motive: Der Narr aus Miltenberg

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Ein Appell an die Vernunft Die Blattkachel mit Liebespaar und Narren vom Alten Rathaus in Miltenberg

Fragment einer Blattkachel mit Liebespaar mit Narr in Renaissancetracht, grün glasiert, 16. Jh., H. 8,0 cm, Br. 7,0 cm, Miltenberg, Museen der Stadt, urspr. Miltenberg, RathausVon den zahlreichen Ofenkachelfragmenten aus dem Alten Rathaus in Miltenberg1 sollen im Folgenden vier renaissancezeitliche Fragmente einer näheren Betrachtung unterzogen werden.

Die Geschichte des Miltenberger Alten Rathauses reicht bis in die Jahre 1374/75 zurück. Das in der Art eines mächtigen Wohnturms errichtete, dreigeschossige, steinerne Haus vereinte den Rats- und Tanzsaal, die Stadtwaage und Lagermöglichkeiten unter einem Dach. Die fremden Kaufleute durften ihre Ware nur hier unterstellen und waren so der Kontrolle durch den Rat unterworfen.

Die Miltenberger Fragmente gehörten zu mindestens zwei grün glasierten Blattkacheln. Sie bestehen aus hell brennendem, quarzgemagertem Ton. Er wurde im östlichen Spessart und Vorspessart seit dem Ende des 12. Jahrhunderts zur Herstellung von Keramik und Ofenkacheln dem ebenfalls dort anstehenden, rot brennenden Tonen vorgezogen. Der Vorteil gegenüber diesem besteht darin, dass die Glasur auch ohne das Aufbringen einer Engobe oder einer Behautung ihre volle Farbwirkung entfalten kann. Dies wirkt sich unmittelbar auf die Brillanz des Endprodukts erheblich aus.


Fragmente der Ofenkacheln mit Narren aus Miltenberg

Fragment einer Blattkachel mit Liebespaar mit Narr
grün glasiert, 16. Jh., H. 8,0 cm, Br. 7,0 cm

Miltenberg, Museen der Stadt, urspr. Miltenberg, Rathaus
Fragment einer Blattkachel mit Liebespaar mit Narr in einer Arkade mit tordierter Säule
grün glasiert, 16. Jh., H. 6,2 cm, Br. 7,0 cm

Miltenberg, Museen der Stadt, urspr. Miltenberg, Rathaus
Fragment einer Blattkachel mit Liebespaar mit Narr in Renaissancetracht
grün glasiert, 16. Jh., H. 9,0 cm, Br. 6,0 cm

Miltenberg, Museen der Stadt, urspr. Miltenberg, Rathaus

Die Bildfelder der Miltenberger Reliefs lassen sich in einem Fall mit Hilfe einer annähernd quadratischen Blattkachel vervollständigen, die sich ursprünglich im Besitz des Schlossmuseums in Berlin befand,2 Sie zeigt drei stehende Figuren in Renaissancetracht. Bei dem jungen, Händchen haltenden Liebespaar fällt die außergewöhnlich aufwändige Kleidung des Mannes mit geschlitzter Pluderhose und straußenfederbesetztem Barett auf. Diese in der Mitte des 16. Jahrhunderts hochmoderne Schlitzung führte einerseits zur Sichtbarmachung der Untergewandung. Andererseits hinterlegte man die Schlitze gerne mit andersfarbigem Stoff, um die Kleidung damit noch bunter zu machen. Rechts hinter der Frau erkennt man einen Narren in Narrenhemd mit angearbeiteter Narrenkappe mit Eselsohren und Hahnenkamm. Spielen die Eselsohren auf die Dummheit und Einfalt des Trägers dieser Kleidung an, so weist der Hahnenkamm auf die Eitelkeit des Narren hin. Er trägt eine Tasche am Gürtel, die den Narrensamen enthält. Deutlich ist dies an der etwa zeitgleich entstandenen Figur vom Ettlinger Narrenbrunnen zu erkennen.3 Das Narrenzepter, auch Marotte genannt, fehlt. Diese Marotte trug oft das Ebenbild des Narren als Warnung vor Selbstgefälligkeit. Der Narr greift unbekümmert mit seiner linken Hand an die Schulter der von ihm abgewandten Frau.

Das Innenfeld wird von einer reich verzierten Arkade umschlossen. Auf mit Kreuzbändern oder mit tordierten, glatten Halbstäben bestückten, hohen Sockeln erheben sich aus Blattkelchen wachsende Halbsäulen. Zwischen ihnen spannt sich ein gedrückter Segmentbogen mit Muschelwerk im oberen Abschluss des Bogenfelds. Die Zwickel sind mit Kugeln besetzt, die aus zwei durch einen Ring zusammengehaltenen, gerippten Halbschalen bestehen.

Zu Nutz und heilsamer Lehr, Ermahnung und Erfolgung der Weisheit

Eine Deutung der Szene gelingt mit Hilfe der 1494 in Basel veröffentlichten Moralsatire „Das Narrenschiff“ des Straßburger Humanisten Sebastian Brant (1457-1521). In über einhundert Verskapiteln beschreibt er satirisch ebenso viele Narrentypen als Verkörperungen sozialer und moralischer Normabweichungen. Jedem Kapitel ist ein Holzschnitt vorangestellt. Etwa drei Viertel dieser Illustrationen stammen von Albrecht Dürer. Sebastian Brant ging es in seiner Schrift in erster Linie um die Anprangerung aller menschlichen Schwächen, Laster und Verfehlungen. Er schrieb eine Art Morallehre, mit der Absicht die Menschen „zu Nutz und heilsamer Lehr, Ermahnung und Erfolgung der Weisheit, Vernunft und guter Sitten“ zu erziehen“, wie er im Prolog seines Buches darlegt. Dabei wird der Narr nicht einfach als Außenseiter gesehen, sondern als Prototyp des Zeitgenossen, dem ein Spiegel vorgehalten werden muss. Typische närrische Charakteristika waren für Brant Sorglosigkeit und Unbekümmertheit, Zwietrachtstiften, Habsucht, schlechte Sitten, Borgen, unnützes Wünschen, Eigensinn, unfolgsame Kranke, Wollust, Neid, Hass, und Undankbarkeit. Obwohl sein Werk in einer Zeit der Suche nach einem neuen Weltbild entstand, wurzelt die Gesellschaftskritik von Sebastian Brant im vorhumanistischen Denken, wonach die Weisheit ein Geschenk Gottes ist und Dummheit und Tölpelhaftigkeit durch die fehlende Erleuchtung des Heiligen Geistes entstehen.

In der Szene mit dem Liebespaar und dem Narren wird die ratio, der Verstand, durch den jungen Mann verkörpert. Dieser entzieht er sich durch sein Verliebtsein. Die Bewusstseinstrübung verleitet ihn dazu, sich über alle Maße herauszuputzen, sich im wahrsten Sinne des Wortes mit fremden Federn, in unserem Fall mit den kaum bezahlbaren Straußenfedern, zu schmücken. Der Frau kommt die Rolle der Verführerin zu. Ihre Rolle nähert sich der des Narren an, der seinerseits seine Verbundenheit mit ihr durch die vertrauliche Geste der aufgelegten Hand unterstreicht.


Weitere Ofenkeramiken mit Narren

Fragment einer Halbzylinderkachel mit geschlossenem Vorsatzblatt mit auf einem Pferd reutenden Narren
grün glasiert, Ende 14. Jh.

Karlsruhe, Badisches Landesmuseum, urspr. Baden-Baden, Hohenbaden
Fragment einer Kranzkachel mit kniendem Narren
grün glasiert, ca. 1450, H. 16,0 cm, Br. 18,7 cm

Großostheim, Bachgau-Museum, Inv.-Nr. 430 49 005
Fragment des Models einer Kranzkachel mit Narr mit Flöte und Frau mit Knickhalslaute
unglasiert, 16. Jh., H. 24,0 cm, Br. 18,0 cm

Colmar, Musée d'Unterlinden, Inv.-Nr. C-V-29
Fragment einer Blattkachel mit Narren in schmaler Arkade
polychrom glasiert, ca. 1510

Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Inv.-Nr. A 0503, urspr. Ochsenfurt, Würzburgisches Kapitelamthaus (Rathaus)
Fragment einer Blattkachel mit der Serie der Selbstreflektionen nach Sebald Beham: Der gebückte Narr
polychrom glasiert, ca. 1540

Coburg, Veste Coburg, urspr. Nürnberg
Fragment einer Blattkachel mit unbekleidetem, tanzendem Narren
polychrom glasiert, ca. 1570, H. 28, 7 cm, Br. 13,4 cm

Köln, Kölnisches Stadtmuseum, Inv.-Nr. KSM 1987/0545
Fragment des Reliefs einer Blattkachel mit Narr auf Steckenpferd
unglasiert, 20. Jh., H. 33,2 cm, Br. 21,3 cm

Amorbach, Fürstlich Leiningensche Sammlungen, Inv.-Nr. 648
Fragment der Schmalseite einer über Eck geführten Blattkachel mit Narren
grün glasiert, 17. Jh., H. 16,5 cm, Br. 17,5 cm

Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Inv.-Nr. A 1586
Fragment der Schmalseite einer über Eck geführten Blattkachel mit stehendem Narren mit Dudelsack
grün glasiert, zweite Hälfte 16. Jh., H. 14,0 cm, Br. 8,8 cm

Wünsdorf, Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege, Inv.-Nr. Wünsdorf BLfD 2008-783/4/27, urpr. Rathenow, Baderstraße
Fragment eines Wärmefaches (?) mit stehendem Narren
grün glasiert, 16. Jh., H. 11,0 cm, Br. 6,0 cm

Darmstadt, Hessisches Landesmuseum
Fragment eines Wärmefaches (?) mit stehendem Narren
polychrom glasiert, Ende 16. Jh., H. 17,5 cm, Br. 17,0 cm

Straßburg, Musée Historique, Inv.-Nr. 341
Fragment einer Halbzylinderkachel mit geschlossenem Vorsatzblatt mit der Serie des Imperatorenbüsten: Vexierbild mit Kardinal und Narr
weiß behautet, Mitte 16. Jh., H. 10,5 cm, Br. 7,0 cm

Gerolzhofen, Stadtmuseum, Inv.-Nr. 028
Fragment einer Blattkachel mit einem Vexierbild mit Kardinal und Narr
unglasiert, Ende 16. Jh., H. 22,0 cm, Br. 21,7 cm

Bad Königshofen, Archäologisches Museum
Fragment einer Blattkachel mit dem Bildnis eines Narren
grün glasiert, 16. Jh., H. 22,0 cm, Br. 15,0 cm

Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Inv.-Nr. A 0647 a
Fragment einer hängenden Kranzkachel mit einem Narrenkopf zwischen Rankenwerk
braun glasiert, Ende 16. Jh., H. 4,7 cm, Br. 19,2 cm

Speyer, Historisches Museum der Pfalz, Inv.-Nr. 11017 (1924/25)

Der Narr nimmt auch als Motiv auf Ofenkacheln eine Sonderstellung ein. In FurnArch finden sich seine Darstellungen auf 120 Kachelreliefs. Beliebt ist die Kombination von Kleinwüchsigkeit und Narrentum.4 Seit der Spätgotik wird er als Wappenschildhalter,5 Musikant, als Schalmei- oder Dudelsackspieler6 dargestellt. Im reformationszeitlichen Kontext ist auf das Vexierbild von Kardinal- und Narren zu verweisen.7

Das ungleiche Liebespaar und andere Skurrilitäten

Das Anormale, das Verblendetsein durch Verliebtsein, findet sich auf einer etwa zeitgleichen Blattkachel vom Saumarkt in Karlsruhe-Durlach. Dort weist das Halbbild eines Liebespaares den Mann durch eine Narrenkappe als Toren aus. Im Falle der Durlacher Kachel spielt man auf das ungleiche Liebespaar an, also auf ein Liebespaar mit großem Altersunterschied zwischen Mann und Frau. Dieses auf den ersten Blick außerordentlich befremdlich wirkende Bildmotiv war weit verbreitet. Wir finden es in Salzburg ebenso wie auf der in Nordhessen gelegenen Burg Eisenberg.8 Hinzu kommt die Übernahme auf das Dekor eines Ofenmodells.9


Ofenkeramiken mit ungleichem Liebespaar

Fragment einer Kranzkachel mit ungleichem Liebespaar mit Narr und junger Frau
grün glasiert, Anfang 17. Jh., H. 21,6 cm, Br. 18,5 cm

Rastatt, Archäologisches Landesmuseum, Zentrales Funddepot, urspr. Karlsruhe-Durlach, Saumarkt, Grube mit Renaissancekachelofen
Fragment einer Kranzkachel mit ungleichem Liebespaar mit Narr und junger Frau
unglasiert, Anfang 17. Jh., H. 21,6 cm, Br. 20,6 cm

Rastatt, Archäologisches Landesmuseum, Zentrales Funddepot, urspr. Karlsruhe-Durlach, Saumarkt, Grube mit Renaissancekachelofen
Fragment einer Kranzkachel mit ungleichem Liebespaar mit Narr und junger Frau
grün glasiert, 16. Jh., H. 17,9 cm, Br. 17,7 cm

Gerolzhofen, Weißer Hof, Sammlung Koppelt, urspr. Gerolzhofen, Innenstadt
Fragment eines Ofenmodells mit ungleichem Liebespaar mit Narr und junger Frau
grün glasiert, Mitte 16. Jh.

Stuttgart, Landesmuseum Württemberg, Inv.-Nr. 9.119
Fragment des Models einer Ofenbekrönung mit ungleichem Liebespaar mit Narr und junger Frau
unglasiert, zweite Hälfte 16. Jh., H. 16,5 cm, Br. 18,2 cm

Schwäbisch Hall, Hällisch-Fränkisches Museum, Inv.-Nr. 88/053
Fragment einer Blattkachel mit ungleichem Liebespaar mit Narr und junger Frau
polychrom glasiert, zweite Hälfte 16. Jh., H. 30,1 cm, Br. 19,4 cm

Düsseldorf, Hetjens-Museum, Inv.-Nr. 1959-0059

Das Thema fand bereits in der vorhumanistischen Zeit in Form von Vergil und der Kaisertochter10 oder des ungleichen Liebespaares Aristoteles und Phyllis11 seinen Niederschlag auf Ofenkacheln.

Verbreitung der Ofenkeramiken mit Narren, Karte: Sabrina Bachmann, HeimbuchenthalEine weitere Variante war das anonyme, ungleiche Liebespaar, wie wir es von Werken des Hausbuchmeisters oder von Israel van Meckenem aus dem letzten Drittel des 15. Jahrhunderts kennen. Dieser Bildtypus erlebte mit der Reformation ab 1520 eine zweite Blüte. Alleine von Lucas Cranach d. Ä und seiner Werkstatt sind mehr als vierzig Fassungen des Themas bekannt. Meist stellte man einen alten, lüsternen Greis einer jungen Dame gegenüber, die dessen Begehren für ihre Bedürfnisse zu nützen verstand, indem sie den Tattergreis um seine Börse erleichterte. Das Ergötzen an diesen anormalen Liebesverhältnissen trug der deutschen und niederländischen Literatur Rechnung, allen voran der „Lob der Torheit“ des Humanisten Erasmus von Rotterdam aus dem Jahre 1509.

Die nach Vorlagen des Flamen Crispyn de Passe I  in der Mitte des 17. Jahrhunderts geschaffene Elementeserie kann als die jüngste Bildfolge auf Werken der Kachelkunst aufgeführt werden, auf der das Thema des ungleichen Liebespaares nochmals Raum griff. Die vierteilige Serie verbindet meisterlich die Thematik der vier Elemente mit den vier Jahreszeiten und den vier Lebensabschnitten. Das vierte Relief ist dem Feuer, dem Winter und dem Alter gewidmet. Ein bärtiger Greis sitzt in dickem Mantel vor einem Feuer und kocht sich ein Süppchen. Er wendet seinen Blick auf die entblößte Brust einer jungen Frau hinter ihm. Diese greift mit Ihrer Linken beherzt nach den vor ihr ausgebreiteten Diademen und Halsketten.

Ob nun Vergil und die Kaisertochter, die Bezwingung Samsons durch Delia, die Enthauptung von Holofernes durch Judith, die mit Nägeln und einem Hammer bewaffnete Jahel oder Phyllis, auf Aristoteles reitend, allen Geschichten ist eins gemeinsam: Sie sind ungemein unterhaltend und haben eine moralische Botschaft.

Das Thema beschäftigte die christliche Theologie über Jahrhunderte hinweg. Es darf also nicht verwundern, wenn solche moralisierenden Darstellungen in der Reformationszeit, in einer Zeit des tiefgreifenden Umbruchs, in der auf allen Ebenen bestehende Regeln und Werte hinterfragt beziehungsweise neu definiert wurden, in all seiner Vielgestaltigkeit zum didaktischen Instrumentarium von Reformation und Gegenreformation zählten.

Die Wurzeln des Verständnisses der Frau als Verführerin reichen bis zur Schöpfungsgeschichte, zum Sündenfall zurück. Eva verleitete den „Verstandesmenschen“ Adam dazu, die Früchte vom Baum der Erkenntnis zu essen. Dieser folgenschwere Schritt bescherte der Menschheit nach christlichem Verständnis nicht nur die Sterblichkeit, sondern auch die ewige Verdammnis, die erst durch den Opfertod Christi wieder aufgehoben wurde.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass sich hinter dieser für uns auf den ersten Blick so eigentümlich anmutenden Darstellung ein komplexes theologisches Thema verbirgt. Dies wurde als solches auch erkannt, als um die Mitte des 16. Jahrhunderts ein Kachelofen mit entsprechenden Blattkacheln in den Räumlichkeiten des Alten Rathauses in Miltenberg errichtet wurde. Vielleicht sollte er, ähnlich den Bildprogrammen auf Wandgemälden, die Stadtväter dazu ermahnen, ihr Amt weise und gerecht auszuüben.

Bislang konnten trotz der geradezu idealen Überlieferung des gedanklichen Hintergrundes, der im Narrenschiffs von Sebastian Brant seinen Ausdruck fand, keine graphischen Vorlagen zu der Miltenberger Kachel gefunden werden. Dem Miltenberger Relief am ähnlichsten ist der um 1550 entstandene Kupferstich von Sebald Beham. Er stellt zwei sitzende Liebespaare zwischen einem stehenden Narren dar. Weitere Darstellungen aus der Serie fehlen, obwohl ein Fragment aus Miltenberg als Nachweis dafür angeführt werden kann, dass es neben besagter Szene noch mindestens eine weitere, ähnliche Darstellungen in übereinstimmendem Rahmen gegeben haben muss.

Rosemarie Franz wies die Ofenkeramik in ihrem Standardwerk zur Kachelkunst der Werkstatt des Monogrammisten HDG zu.12 Sein in München aufbewahrtes, im Jahre 1559 nach Vorlagen von Hans Brosamer entstandenes Ofenmodell mit den Weiberlisten schließt thematisch an die Miltenberger Kachel an. Trotz thematischer Bezüge und einer nicht von der Hand zu weisenden stilistischen Nähe der Darstellungen sind beide Keramiken damit nicht zwangsläufig dem Oeuvre des Meisters HDG sondern eher dem entsprechenden Werkstattkreis zuzuordnen. Betrachtet man den Einzugsbereich der Miltenberger in der Mitte des 16. Jahrhunderts, so kommen als form- und stilprägende Werkstätten, aus denen man Fertigprodukte bezog oder aus denen die einheimischen Handwerker ihre Anregungen erhielten in erster Linie die Handels- und Handwerkszentren, die freien Reichsstädte Frankfurt am Main und Nürnberg in Frage. Eine vollständige Aufarbeitung der furnologischen Artefakte dieser beiden Reichsstädte dürfte auch für die Miltenberger Kachelfragmente mit Liebespaar und Narr noch manche Überraschung bereithalten.


Weiterführende Literatur:

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Busch, Ralf (2012): Die Wendekopf-Kachel Narr/Kardinal aus Braunschweig (Grabung Turnierstraße 1) und ihr zeitgeschichtlich-theoretischer Hintergrund. In Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte 81, S. 305–313.

Falk, Alfred (1997): „Verkehrte Welt“. In Ulrich Drenkhahn, Manfred Gläser (Eds.): GeFUNDEn in Lübeck – Archäologie im Weltkulturerbe. Lübeck: Schmidt-Römhild (Ausstellungen zur Archäologie in Lübeck), S. 22–27.

Franz, Rosemarie (1981): Der Kachelofen. Entstehung und kunstgeschichtliche Entwicklung vom Mittelalter bis zum Ausgang des Klassizismus. 2. verb. u. verm. Aufl. Graz.

Franzke, Irmela (Ed.) (1986): Die Renaissance im deutschen Südwesten zwischen Reformation und Dreißigjährigem Krieg. Karlsruhe: Badisches Landesmuseum.

Hallenkamp-Lumpe, Julia (2007): Das Bekenntnis am Kachelofen? Überlegungen zu den sogenannten „Reformationskacheln“. In Carola Jäggi, Jörn Staecker (Eds.): Archäologie der Reformation. Studien zu den Auswirkungen des Konfessionswechsels auf die materielle Kultur. Berlin/New York (Arbeiten zur Kirchengeschichte, 104), S. 323–343.

Herrbach-Schmidt, Brigitte (Ed.) (2001): Spätmittelalter am Oberrhein. Alltag, Handwerk und Handel 1350-1525. Karlsruhe: Badisches Landesmuseum.

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© Harald Rosmanitz, Partenstein 2021

  1. Die baubegleitend durch Alf Dieterle aus Kleinheubach im Jahre 1980 geborgenen Fragmente befinden sich heute in den Beständen der Museen der Stadt Miltenberg.
  2. Franz 1981, Abb. 292
  3. Franzke 1986, S. 554, Kat.-Nr. I 16
  4. Unger 1988, S. 108-109
  5. Leib 2011
  6. Leib 2020, S. 40-42
  7. Arnold, Westphalen 1990, S. 47-53; Busch 2012; Hallenkamp-Lumpe 2007, Abb. 6; Ring 2007; Wegner 2017; Žegklitz 2012, S. 43, Abb. 40
  8. Kulick 1985, S. 102-103, Abb. 12-13
  9. Appuhn-Radtke, Kayser 1986, S. 864, Kat.-Nr. S 18
  10. Herrbach-Schmidt 2001, S. 276, Kat.-Nr. 551; Hüglin 2013a; Hüglin 2013b, S. 136-138; Jones 2004, S.- 283-285; Stelzle-Hüglin 1999
  11. Falk 1997; Kiss et al. 2018, S. 188-189, Kat.-Nr. 3.50; Rakonczay 2018, S. 219-220; Wullen 1987, S. 125-129
  12. Franz 1981, S. 97-99