Aus dem südthüringischen Wölfershausen stammt das Fragment einer dunkelbraun glasierten Kachel mit einer sitzenden, einen Zink blasenden Frau. Das Innenfeld der dunkelbraun glasierten Kachel ist noch weitgehend intakt. Das Relief wirkt an mehreren Stellen verwaschen. Dies erkennt man im Bereich des Gesichts der Figur im Innenfeld und in der Sockelzone. Die Zeichnung der Gewandfalten und die klaren Konturen der Hintergrundarchitektur verdeutlichen, dass es sich lediglich um eine vergleichbar schlechte Ausformung aus einem ansonsten scharfkantig geschnittenen Model handeln dürfte.
Von der rahmenden Arkade der ursprünglich annähernd quadratischen Kachel hat sich der rechte der beiden flankierenden Pfeiler mit Herme mit verschränkten Armen erhalten. Er war ursprünglich Teil eines Architekturgehäuses mit glatter Inschriftenkartusche im Sockel, beidseitig flankiert von Pfeilern mit punktbuckelbesetzten Sockeln. Den glatten Pfeilern vorgelagert sind bärtige Hermen mit Blattbesatz im Taillenbereich. Auf ihnen ruht eine akanthusblattbesetzte Bogenlaibung. Die beiden oberen Zwickel können mit Akanthusrosetten aufwarten.
Ohne einen ikonographischen Bezug herzustellen, umschloss die Arkade ein annähernd quadratisches Innenfeld. In ihm saß eine junge Frau. Sie hat ihr linkes Profil dem Betrachter zugewendet. Die Frau trägt eine zeitgenössische Haube. Ein langes Kleid bedeckt ihren Körper. Der Rock des Kleides ist sowohl in der Horizontalen als auch in der Vertikalen von tiefen Falten durchzogen. Darunter schauen nackte Füße hervor. Eine aussschwingende Faltenbahn auf Taillenhöhe leitet über zu einem leicht überdimensional dargestellten Zink. Der Zink (ital. Conetto) ist ein für das 17. Jahrhundert typisches Blasinstrument. Aus Holz, manchmal auch aus Elfenbein gearbeitet, wird er wie eine Trompete geblasen. Die Musikantin sitzt auf einer kastenförmigen Bank. Auf der Sitzplatte vor ihr liegt ein aufgeschlagenes Notenbuch. Beidseitig ist die Bank von quaderförmigem Mauerwerk umschlossen. Die diagonale Abbruchkante auf Kopfhöhe und die rechte Hälfte einer Arkade, der das Gegenstück auf der linken Bildhälfte fehlt, lassen vermuten, dass eine ruinenartige Baustruktur angedeutet werden soll. Eine ähnliche Darstellung einer zinkblasenden Musikantin auf einem Model in Nürnberg trägt auf der Sockelzone unterhalb der Sitzbank die römische Ziffer VII und weist damit auf die Zugehörigkeit zu einer mehrteiligen Serie hin.
Im chorus musarum, dem Chor der Musen von Lucas Kilian (1579-1637) ist den neun Musen im Gegensatz zur Bildfolge der Musen von Philip Galle1 jeweils ein Musikinstrument beigegeben. Den Verkörperungen der Musen unterliegen einer verbindlichen Abfolge:
Nr. | Instrument | Muse |
1 | Knickhalskaute | Urania |
2 | Baßvioline | Polmnia |
3 | Baßlaute | Erato |
4 | Orgel | Cleio |
5 | Querflöte | Melpomene |
6 | Harfe | Terpsichor |
7 | Zink | Euterpe |
8 | Posaune | Thaleia |
9 | Schalmei | Erato |
Die römischen Ziffern in der Sockelleiste der Innenfelder sind bei den durch Glasur überformten Reliefs so gut wie nicht zu erkennen. Über Model lassen sich in Entsprechung zur Anzahl der Musen insgesamt neun unterschiedliche Motive unterscheiden. Ähnlich wie bei den alttestamentarischen Propheten ist es noch nicht gelungen, die der Bildfolge zugrundeliegenden Druckgraphiken zu identifizieren.
Ofenkeramiken der Serie der sitzenden Musikantinnen
Wie bei den Tugendallegorien waren die sitzenden Musen in unterschiedliche Rahmen eingestellt. Neben einer Arkade mit Hermenpfeiler mit verschränkten Armen ist auf eine ebensolche mit einfachen Pfeilern zu verweisen. Weit verbreitet ist auch eine Arkade mit nach innen gewendeten, armlosen Hermen und Karyatiden. Ebenfalls häufig anzutreffen ist ein rechteckig um das Innenfeld laufende Ornamentband mit Rollwerkdekor und bärtigen Blattmasken.
Die Serie der musizierenden Musen und ihre Übernahme auf Werke der Kachelkunst ist eine eindeutig auf den Manierismus und den Frühbarock begrenzte Erscheinung.2
Die Serie mit ihren unterschiedlichen Rahmenausprägungen kommt im gesamten Süd- und Südwestdeutschland, in Österreich, der Schweiz, in Liechtenstein und im Elsass vor. Dabei lassen sich bestimmte Merkmalsausprägungen keiner Region zuweisen. Vielmehr widerlegt gerade diese scheinbar äußerst beliebte Serie den Leitgedanken der Kachelforschung, alle Rahmen- und Motivserien regionalisieren zu können.
Stilistisch können Innenfeld und Rahmendekor ins ausgehende 16. Jahrhundert datiert werden. In dieser Zeit dürften entsprechende graphische Vorlageblätter entstanden sein. Eine Frühdatierung um 1534, wie das über die Einbindung entsprechender Reliefs in den polychromen Ofen von Spiez postuliert wurde,3 sollte mit Vorsicht zur Datierung der Serie herangezogen werden. Ein rückseitig auf das Jahr 1593 datiertes Innenfeldmodel aus Basel gibt wesentlich schlüssiger den terminus post quem an. Eine inschriftlich 1665 datierte, über Eck geführte Blattkachel mit sitzenden Musikantinnen dürfte der Spätphase der Motivnutzung angehören. Einen späten Datierungshinweis gibt der ins Jahr 1613 datierte Ofen von Bürglen.4
Ofenkeramiken der Serie der stehenden Musikantinnen
Ähnlich gearbeitet ist eine Serie mit stehenden Musikantinnen. Die identische Folge der Musikinstrumente legt nahe, dass es sich auch in diesem Fall um die Verkörperungen der Allegorien der neun Musen handeln dürfte. Die Frauen agieren vor einem glatten Hintergrund. Eine rollwerkbesetzte Kartusche innerhalb des Innenfelds engt den ihnen zur Verfügung stehenden Raum zusätzlich ein. Die rahmende Arkade setzt sich aus armlosen Hermen und Karyatiden als Pfeilerfiguren zusammen. Über ihr spannt sich eine Bogenlaibung in Form eines glatten, einfach abgetreppten Viertelstabs. Der Rollwerkbesatz in Bogenseite ist in den beiden rechts und links anschließenden Zwickeln von blattbesetzten Rankenbündeln flankiert.
Im Vergleich zu den Reliefs mit den sitzenden Musikantinnen wirken die stehenden Frauen deutlich sorgfältiger modelliert. Dennoch lassen sich keine Nachweise dafür anführen, dass diese Motivvariante früher entstand als die Folge mit den sitzenden Musikantinnen. Die Jahreszahl 1684, die nachträglich in eine rezente Abformung mit dem Motiv eingebracht wurde und die rückseitige Datierung 1690 eines Models der Bildfolge aus der Gelbinger Gasse in Schwäbisch Hall sind als späte Nachweise der Produktion des Motivs zu sehen. Im Jahre 1953 wurden in der Steingasse 28 in Salzburg Model mit der vollständigen Folge der Serie gefunden.5 Leider sind die Stücke heute unauffindbar.
Weiterführende Literatur:
Brunner, Thomas (1999): Die Renaissance in der Stube. Innerschweizer Hafner und Ofenkeramik im ausgehenden 16. Jahrhundert. In Kunst + Architektur in der Schweiz 50, S. 33–41.
Furrer, Benno (2009): Kachelöfen und Feuerstellen im Planzerhaus in Bürglen. In Historisches Neujahrsblatt des Historischen Vereins Uri 100, S. 23–41.
Hochstrasser, Markus (2002): Solothurn, Klosterkirche St. Joseph. In Archäologie und Denkmalpflege im Kanton Solothurn 7, S. 98–108.
Leib, Sarah (2020): Die Ausgrabungen auf dem Kirchhügel von Bendern, Gemeinde Gamprin, Fürstentum Liechtenstein. Bd. 4: Ofenkeramik, Glas- und Metallfunde vom 8. bis 20. Jahrhundert. Vaduz.
Mück, Susanne (1990): Frühneuzeitliche Ofenkachelmodel aus der Hafnerwerkstatt des Andreas Mauselin aus Ravensburg. (masch. Magisterarbeit). Tübingen.
Mück, Susanne; Schmidt, Erhard (1989): Ofenkachelmodel aus dem Gebäude Marktstraße 36 in Ravensburg. In Denkmalpflege in Baden-Württemberg. Nachrichtenblatt des Landesdenkmalamtes 18, S. 132–137.
Orelli-Messerli, Barbara (1999): Frühe Fayencen in der Schweiz. Keramiköfen und Ofenkacheln. In Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 56, S. 115–128.
Pommer, Ludwig B. (1952): Neuentdeckte Zeugen handwerklicher Kunst. In Das Bayernland 54, S. 204–205.
Unger, Ingeborg (Ed.) (1988): Kölner Ofenkacheln. Die Bestände des Museums für Angewandte Kunst und des Kölnischen Stadtmuseums. Köln.